Interview mit Mikis Wesensbitter.

Mikis Wesensbitter kennt sich aus mit dem Osten, seinen Abgründen, seinen Partys und seinem Lebensgefühl. In seinem neuen Buch „Wir hatten ja nüscht im Osten … nich’ ma Spaß!“ beschreibt er in Form eines Tagebuchs das Jahr 1989 in Ostberlin. Alles aus der Sicht seines 21-jährigen Ichs. Bei aller Nostalgie ist sein Debüt bei Subkultur aber eine sehr authentische und durchaus auch selbstironische Momentaufnahme einer Jugend Ende der 80er Jahre, mit der Mikis Wesensbitter gerade im Osten wie im Westen für volle Lesungen sorgt. Wie froh er ist, dass es  damals noch kein YouTube gab, was gutes und schlechtes Bier ausmacht und was er von Nacktscannern am Flughafen hält, verrät er im Interview mit Sarah Strehle.

In deiner Vita steht, dass du mit 12 Jahren Redeverbot erhalten hast, weil du seltsame Fragen im Biologieunterricht gestellt hast. Was genau hast du gefragt?
MW: Ich wollte nur wissen, was geil bedeutet. In den 80ern stand dieses Wort noch auf dem Index. Ich bekam dann einen Duden, um das nachzuschlagen und die Lehrerin erteilte mir mit dem Hinweis: „Du verdirbst mir noch die ganze Klasse.“ Frageverbot. Die Erklärung war sehr kryptisch, denn da stand so was wie: „Waidmännchen der Hoden“. Ich frag mich bis heute, was das bedeuten sollte.

Das Frageverbot endete ja dann glücklicherweise 1989. Was hast du als Erstes nach der Maueröffnung gemacht?
MW: Das wirklich Allererste war, festzustellen, dass der Westen wie ein riesiger Intershop riecht. Das Zweite war dann in die Kneipe gehen und ein Flensburger trinken. Hat mir nicht geschmeckt.

In deinem Tagebuch wird sehr viel getrunken. Was ist das Peinlichste, was dir im betrunkenen Zustand damals passiert ist?
MW: Das werde ich mich Sicherheit nicht verraten! Glücklicherweise gab es damals noch keine Beweisvideos auf YouTube. Somit wird mich niemand damit erpressen können, dass ich bei einem Shiny Gnomes Konzert in der Dresdner Scheune mit freiem Oberkörper die Bühne geentert und lautstark eine Zugabe gefordert habe. Hoffe ich …

DDR-Goldquell by Jana Farley
Dem Trinken, zumindest dem Biertrinken, bist du bis jetzt treu geblieben, denn auf deinem Blog testest du regelmäßig verschiedene Sorten. Wie kam es dazu?
MW: Ursprünglich entstand das Ganze als Biere der Welt für eine andere Webseite. Meine Freundin hat Bier fotografiert und ich habe dann etwas dazu geschrieben. Nachdem das Projekt beendet worden war, haben wir weiter fotografiert und irgendwann habe ich dann meinen eigenen Blog kreiert.
Bier ist ein wahres Kulturgut, mit Stil und Esprit und ich kenne nur wenige Momente, die so erfüllend sind, wie in einem ausländischen Supermarkt durch die Getränkeregale zu wandeln und immer etwas Neues zu entdecken. Wir haben inzwischen über 500 verschiedene Biersorten dokumentiert.

Welches Bier ist dein derzeitiger Favorit?
MW: Ich bin ein großer Freund von französischem Bier. Da gibt es jede Menge kleine, feine Brauereien, die mich immer wieder überraschen. Wie das 3 Monts. Das ist ganz oben auf meiner Favoritenliste. Das belgische Hoegaarden Grand Cru ist auch ein wunderbarer Abendbegleiter und das finnische Karjala Export ist einer meiner All-Time-Favoriten. Am Ende der Liste tummeln sich einige der neumodischen Hipster-Pale-Ales, die mir einfach zu experimentell sind. Ich meine, wer braucht ein Bier, das schwarz und dickflüssig wie Teer aus der Flasche tropft und schmeckt, als wenn der Waldbär seine Genitalien darin gebadet hätte?

Was ist das schlimmste Bier, das du bisher getestet hast?
MW: Das allerschlimmste Bier allerdings – und jetzt mach ich mir bestimmt keine Freunde – war das Sternburg. Das schmeckte wie Lehmpfütze und blieb nur 23 Minuten in mir, bevor es sich unter viel Getöse wieder in die Freiheit verabschiedete. Und es war wohlgemerkt das erste Bier des Testabends. Vielleicht war es ja einfach nur schlecht …

Wie stehst du zu „Früher war alles besser“-Predigern?
MW: Eigentlich gehöre ich selbst zu dieser Fraktion, allerdings funktioniert das nur, wenn man auch halbwegs ironiefähig ist. Früher war nicht alles besser, dafür aber anders. Es gab keine Discounter, kein H&M und keine digitalen Downloads. Ein Mixtape war Gott und Großvaters Kleiderschrank das Paradies. Früher hatten die Dinge einen Wert, heute nur noch ein Verfallsdatum. Und leider nur ein ziemlich kurzes …

Du meinst also, dass die Dinge früher einen höheren Wert hatten?
MW: Im Osten war damals Geld relativ unwichtig. Dafür hatte man jede Menge Zeit. Briefe kamen mit der Post und hatten deshalb auch viel mehr Gehalt als der moderne SMS- oder WhatsApp-Quatsch. Vielleicht stand nicht viel anderes drin, aber es hatte einfach eine andere Qualität. Schon weil es handgeschrieben und auf Papier war. Und auch heute noch da ist, im Gegensatz zu den ganzen digitalen Nachrichten, die immer irgendwie und irgendwo verschwinden.
Mikis Wesensbitter bei der Lesebühne Vision & Wahn
In deinem Buch schreibst du gefakte Briefe an dich selbst, damit die Stasi beim Kontrollieren deiner Post auch ein bisschen Spaß hat. Heute gibt es zwar keine Organisation mehr wie die Stasi, trotzdem wird immer häufiger von einem Überwachungsstaat gesprochen. Wie ist deine Meinung dazu?
MW: Letztlich ist es völlig egal, ob man von einem Unrechtsstaat oder von einem Rechtsstaat überwacht wird. Damals wussten wir, dass unsere Telefongespräche abgehört und unsere Briefe geöffnet werden konnten. Das war definitiv Unrecht.
Heute wissen wir, dass alles, was wir in unsere Computer oder unsere Smartphones tippen, irgendwo registriert wird. Aber das ist ja nicht so schlimm. Wir haben ja nichts zu verbergen, schließlich wird ja heutzutage niemand mehr dafür erschossen, dass er gegen den Staat ist oder schlecht über seine Mitmenschen redet …
Wie blöd sind wir eigentlich? Die Stasi hätte sicherlich von den Möglichkeiten, die sich Geheimdiensten heute bieten, geträumt.
Auch die Industrie ist da ja auch bestens informiert und sammelt akribisch unsere Eigenarten. Und wir stehen erst am Anfang dieser ganzen widerlichen Entwicklung. Ich hatte neulich meine Premiere im Nacktscanner am Flughafen und möchte wirklich nicht wissen, was als nächstes kommt und was wir bald als normal empfinden werden. Oder müssen.

Was bedeutet Freiheit für dich?
MW: Für mich bedeutete Freiheit Vokuhilafrisur, Dauerwelle und Marmorjeans. Debiles Grinsen und ein paar Büchsen Bier im Kopp.

Vielen Dank für das Interview! Und Prost!