PHILLIP BOA - "Speed" statt Langeweile

TranceForM.de
Interview 07/01
Thomas Manegold

Die abgedroschene Floskel stimmt dieses Mal wirklich: Ein großer Star ist zurück! ... aus Malta, geographisch heimgekehrt. Musikalisch war er nie wirklich weg und auch das grelle "NEU!" auf den Fahnen des Voodooclub ist so neu nicht, denn PHILLIP BOA ist chronischer Selbsterneuerer, ein sich in Frage stellender, sich fordernder Musiker. Trotzdem ist mit Erscheinen seines neuen Albums "THE RED" etwas Entscheidendes passiert. Die logische Entwicklung zum sich selbstzähmenden Aushängeschild der eigenen Schublade ist einfach unterbrochen worden. Boa hat einen neuen Produzenten, neue Leute und macht mit ihnen wirklich neue Musik, elektronisch aufbereiteten gitarrenlastigen Independentsound, der trotz rapider Frischzellenkur unverwechselbar nach Boa & Voodooclub klingt. Kunststück!

Du bist nun aus Malta wieder nach Deutschland gezogen. Fühlst du dich als Heimgekehrter?
PHILLIP BOA: Das war eine schleichende Entwicklung, keinesfalls so drastisch, wie das lt. Presseinfo den Anschein hat. Ich bin jetzt viel seltener in Malta und in sehr vielen anderen Städten unterwegs. Hauptsächlich in Dortmund, Düsseldorf und Hamburg.

Ist die Änderung des Umfelds der Grund dafür, daß "THE RED" überraschend rauh und härter ausgefallen ist, als noch "MY PRIVATE WAR", dessen verträumte Attitüde ja nun gänzlich fehlt?
PHILLIP BOA: Das Ruhige an "MY PRIVATE WAR" entsprach meinem Anliegen. Ich wollte so eine Musik machen. "Verträumt" ist schön ausgedrückt... laid back... nicht zu aggressiv, meinem Alter entsprechend... und diese Haltung hat sich über drei Alben, seit der letzten Voodoocult, so entwickelt. Irgendwann hatte ich aber damit abgeschlossen. Klar, das kann schon daran liegen, daß ich nicht mehr in Malta bin... Ich fühle mich eigentlich gar nicht alt und wollte wieder anders ans Musikmachen rangehen, so wie früher vielleicht... ohne jetzt übertrieben an der Vergangenheit zu hängen. Ich suchte deshalb nach neuen Personen, die mir helfen konnten. Dann habe ich Olaf Opal, den Produzenten getroffen und damit fing alles an....

Weil du gerade das Alter ansprichst... denkt man ab einem bestimmten Alter über das Aufhören nach oder tun das Andere für einen?
PHILLIP BOA: Das tun in meinem Fall erstaunlich wenig andere. Selbst in den Medien hält sich das in Grenzen. Ich selbst habe schon in den letzten Jahren immer mal wieder drüber nachgedacht. Ich habe zwar überraschend wenig wirklich schlechte Kritiken zu "My Private War" bekommen, aber es kamen des öfteren solche Sätze vor wie: "Seine alten Platten sind aber besser" und das hat mich auf Dauer ein bißchen wütend gemacht.

Die alten Platten sind immer besser, weil sie den "Nostalgiebonus" haben. Der ist doch bei neuen CDs nicht vorhanden. Du bleibst aber nicht stehen, definierst dich immer wieder neu. Diesmal hast du sogar zahlreiche neue Leute um dich versammelt...
PHILLIP BOA: Olaf, den Produzenten kannte ich schon von früher (was sich allerdings erst später herausstellte) und wir hatten sofort so etwas wie eine gemeinsame Ideologie. Die Geschichte startete auch Olaf, der zwei drei Bands produziert hatte, die ich sehr gut finde, unter anderem Notwist oder auch Miles und Readymade... Ich wollte mich drastisch verändern und auch gar nicht mehr mit meinen alten Strukturen arbeiten. Die Musiker kamen dann auch weitestgehend aus dem Umfeld von Olaf, allesamt Leute mit denen er gut gearbeitet hatte. Die Hauptperson war der Miles Gitarrist Tobias Kuhn und der hat fast alle Gitarren und Bässe eingespielt und sehr hart daran gearbeitet.

Zwar dominieren die Gitarren über weite Strecken, aber "THE RED" hat auch eine elektronische Seite....
PHILLIP BOA: Ja, Tobias Kuhn lieferte sozusagen den Grundstein. Dann wollten wir noch eine elektronische Komponente haben und Olaf hat dann Console ins Spiel gebracht, der ja auch bei Notwist spielt.

Bei Notwist?
PHILLIP BOA: Ja, seit dem letzten Album "The Shrink" und er wird auch auf dem nächsten zu hören sein, das im Januar rauskommen soll.

Und woher kommt die neue Sängerin?
PHILLIP BOA: Julia lebt seit einiger Zeit in Deutschland und ich hatte sie zuvor schon auf Festivals live getestet. Da hat mir und den Fans gefallen, sodaß ich sie bat, die Gesangsparts für das neue Album zu übernehmen.

Einerseits hat die Platte viele elektronische Sounds, andererseits kommt am Schluß von "When I´m Bored" eine kleine Ode an die Doors... oder ist das Zufall?
PHILLIP BOA: Es geht bei diesem Song um die Langeweile. Wenn du gelangweilt bist, ist auch viel Schönheit darin. Das ist ein sehr netter Zustand. Und deshalb ist dieses Zitat am Ende sehr selbstironisch "kannst Du bitte mein Feuer anzünden"..., damit ich nicht mehr gelangweilt bin.

Dann gibt es noch eine gesprochene Passage in "Speed", klingt wie ein Text aus einem Buch. Was ist das?
PHILLIP BOA: Das ist von einer Schriftstellerin, die ich sehr schätze. Sie heißt Sibylle Berg und lebt in der Schweiz. Sie hat mir zu meinem Text in "Speed" einen eigenen deutschen Text gemacht.

"Speed" ist fast schon Drum`n Bass... PHILLIP BOA: Ist aber Live gespielt.

Hat sich diese Sympathie zu derartigen Elektronik- Sounds entwickelt? Ich hatte früher eher den Eindruck, daß du den elektronischen Musikstilen wenig Sympathie abgewinnen konntest- oder täusche ich mich da?
PHILLIP BOA: Ich liebe Rockmusik und ich liebe Gitarren. Und das hört man auch auf dem Album. Aber ich mag die Elektronik in der Musik, vor allem in der Kombination mit Rock. Da liegt noch ein gewisser Freiraum, der von den Musikern noch nicht ganz so ausgebeutet worden ist. Wir waren schon immer die Remixes meiner Songs sehr wichtig. Vor vier Jahren hat Aphex Twin mal einen Remix gemacht und wir haben seine Sachen auch auf dem Album eingebaut. Das war "she" damals, glaube ich...
Ich suche andauernd gute Leute für sowas und ich würde auch gern viel mehr mit ihnen machen, aber leider habe ich dafür immer keine Zeit. Die Remixes von "Eugene" finde ich alle sehr gut und vor allem sehr kreativ.

Die Besetzung, mit der das neue Album eingespielt wurde, wird live einige Fragen aufwerfen. Wie wirst Du das lösen?
PHILLIP BOA: Es ist immer ein Problem, nach der Studioarbeit das Ganze dann auch live umzusetzen. Ich glaube aber, daß ich das in der Vergangenheit ganz gut bewältigt habe und auch dieses Mal ganz gut lösen kann. Ein Song bleibt schließlich immer ein Song. Wenn Du ihn anders interpretierst, erkennen die Leute das trotzdem.

Das Boa mit "THE RED" neu erfunden wurde, steht außer Frage. Fühlst du dich nun von anderen neu definiert oder von dir selbst?
PHILLIP BOA: Ich denke, beides trifft zu. Die neuen Leute haben mich auch neu interpretiert, und das ziemlich gut. Das sind alles kreative Persönlichkeiten, die mir geholfen haben. Ich laufe nach 15 Jahren logischerweise Gefahr, mich zu wiederholen oder stehenzubleiben und ich wurde so in eine Andere Richtung gestoßen. Das war perfekt. Ich werde das in Zukunft ähnlich gestalten.

Die Promo CD unterschlägt ein Drittel der neuen Stücke. Ist die Songauswahl repräsentativ, oder gibt es noch die eine oder andere Überraschung?
PHILLIP BOA: Es gibt da noch ein paar Stücke, die nicht ganz so genial produziert klingen, weil David und ich das selbst gemacht haben. Dann gibt es noch ein Stück, bei dem Console sich richtig ausgetobt hat. "Where The Raingods Meet" ist für mich musikalisch das genialste Stück auf dem Album. Wir haben nicht die acht besten Stücke aufs Album gepackt, denn wir wollten vermeiden, daß vor dem Release schon alles im Internet steht.

Du hast 20 Jahre Popkultur mitgestaltet und mitgelebt. Wie schafft man es da, sich nicht zu wiederholen?
PHILLIP BOA: In dem man gewisse emotionale Bodenhaftung behält. Der Engländer würde sagen "down to earth". Ich bin ja nun "mittelmäßig erfolgreich" und das hält einen realistisch. Ich weiß, wo ich stehe, werde nicht überheblich und arbeite kontinuierlich an mir und meiner Musik. Wenn ich ein Megapopstar wäre, würde ich schon lange keine relevante Musik mehr machen.

Ist Künstler zu sein für dich ein Zwang? Oder was würde PHILLIP BOA tun , wenn er wirklich mal aufhören sollte, Musiker zu sein?
PHILLIP BOA: Gute Frage - die stelle ich mir auch ständig.... ist eine Schicksalsfrage, allerdings zur Zeit rein hypothetisch, soaß ich sie erfolgreich verdränge. Zur Zeit macht es mir einfach zuviel Spaß und ich bekomme von manchen Seiten, die mich in letzter zeit eher ignoriert haben, gerade wieder den Respekt zurück. Solange ich neue, auch jüngere Leute erreiche, was man ja live sehr gut nachprüfen kann, hat die Arbeit noch einen Sinn. Ist das nicht mehr gegeben, sollte man auch aufhören... und über solche Fragen nachdenken.

Hast Du einen besonderen Bezug zu den zwei gecoverten Stücken auf den Maxis, zumal Du ja im Nachhinein mit Deinem Bowie- Cover "Starman" nicht ganz so glücklich warst?
PHILLIP BOA: Mit dem Starman war ich nicht zufrieden. Das war einer meiner größten Fehler. Nur reizt es immer wieder, Dinge zu tun, die man nicht machen soll. Das war bei Adam und Eva schon so... und genau so sollte man niemals "Enjoy The Silence" von Depeche Mode covern.

Stimmt, Depeche Mode ist in der Beziehung so etwas wie eine heilige Kuh. Das darf man nicht!
PHILLIP BOA: Deswegen habe ich's trotzdem gemacht. Ich mag das Lied, obwohl ich unsere Gitarrenversion auf kein Album packen würde. Maxis sind für solche Spinnereien eine schöne Plattform. Das ist ein Versuch und ob der dann als gelungen oder nicht gelungen bezeichnet wird, ist mir auch fast egal. Das Original von "First We Take Manhattan" von Leonard Cohen finde ich dagegen nicht sehr stark. Das Stück stammt aus den 80ern und ist sehr kitschig. Und da stehe ich hundertprozentig hinter meiner Fassung, die ich so auch auf ein Album packen würde.

Was hältst du vom neuen Depeche Mode Album?
PHILLIP BOA: Ich kenne nur die Single, und die hat mich ein wenig enttäuscht. Meine Freundin fand die CD sofort richtig gut, während mein Bassist als alter Depeche Mode Fan am Anfang eher skeptisch reagierte und erst als er die CD öfter gehört hatte, es für gut befand. Mit dem Album muß man sich beschäftigen und ich glaube das Depeche Mode immer noch eine sehr gut Band ist. Wir bräuchten in Deutschland solche Bands, die seit 15 Jahren existieren und prinzipiell gute Musik machen, die das gewisse "standing" haben, die etwas bedeuten und auch etwas verkaufen. Gäbe es mehr solche Bands in Deutschland, hätte relevante Musik auch eine gewisse Plattform. Je besser die Musik ist, um so schlechter verkauft sie sich in Deutschland- mal drastisch ausgedrückt.

Warum ist das ein deutsches Problem?
PHILLIP BOA: Weil der Deutsche an sich keine Stars mag. Ein Liam Gallagher von Oasis ist in Deutschland undenkbar. Dabei braucht jede Szene Persönlichkeiten, aber denen läßt man hier offensichtlich keinen Raum.

Wieso hat der Deutsche ein Problem mit Stars?
PHILLIP BOA: Weil er sehr neidisch ist. Er wird leicht eifersüchtig und hat auch große Minderwertigkeitskomplexe im Bezug auf die Qualität deutscher Musik. Das ist in meinen Augen nicht gerechtfertigt, denn es gibt auch in Deutschland viel gute Musik, die einfach unbeachtet bleibt.

Danke für das Interview! Bleibt mir noch, dem Leser einen etwaigen Liveauftritt des neuen Voodooclub wärmstens zu empfehlen- so als Mentalitätsbewältigungstherapie... Es war wiedermal ein Vergnügen und, entgegen dem Ruf, der Herrn Boa immer noch vorauseilt, überhaupt nicht schwierig, mit ihm zu reden... Thomas Manegold

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STECKBRIEF

 

INTERVIEW 1

 

INTERVIEW 2

 

THE RED VIEW

 


CD THE RED @ TRANCEFORM

 

 

 

SIBYLLE BERG
SIBYLLE BERG @AMAZON.DE

 

 

BOA on Tour:

18.10. Braunschweig - Jolly Joker 19.10. Dresden - Alter Schlachthof 20.10. Leipzig - Werk 2 21.10. Berlin - Columbiahalle 22.10. Hamburg - Docks 24.10. Bochum - Zeche 25.10. Köln - Live Music Hall 26.10. Darmstadt - Zentralstation (Contra Promotion)

 

Promo- Photos von RCA und Public Propaganda.

 
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