Die abgedroschene
Floskel stimmt dieses Mal wirklich: Ein großer Star ist zurück!
... aus Malta, geographisch heimgekehrt. Musikalisch war er nie wirklich
weg und auch das grelle "NEU!" auf den Fahnen des Voodooclub
ist so neu nicht, denn PHILLIP BOA ist chronischer Selbsterneuerer, ein
sich in Frage stellender, sich fordernder Musiker. Trotzdem ist mit Erscheinen
seines neuen Albums "THE RED" etwas Entscheidendes passiert.
Die logische Entwicklung zum sich selbstzähmenden Aushängeschild
der eigenen Schublade ist einfach unterbrochen worden. Boa hat einen neuen
Produzenten, neue Leute und macht mit ihnen wirklich neue Musik, elektronisch
aufbereiteten gitarrenlastigen Independentsound, der trotz rapider Frischzellenkur
unverwechselbar nach Boa & Voodooclub klingt. Kunststück!
Du bist nun aus Malta
wieder nach Deutschland gezogen. Fühlst du dich als Heimgekehrter?
PHILLIP BOA: Das war eine schleichende Entwicklung,
keinesfalls so drastisch, wie das lt. Presseinfo den Anschein hat. Ich
bin jetzt viel seltener in Malta und in sehr vielen anderen Städten unterwegs.
Hauptsächlich in Dortmund, Düsseldorf und Hamburg.
Ist die Änderung des
Umfelds der Grund dafür, daß "THE RED" überraschend rauh und härter ausgefallen
ist, als noch "MY PRIVATE WAR", dessen verträumte Attitüde ja nun gänzlich
fehlt?
PHILLIP BOA: Das Ruhige an "MY PRIVATE WAR" entsprach
meinem Anliegen. Ich wollte so eine Musik machen. "Verträumt"
ist schön ausgedrückt... laid back... nicht zu aggressiv, meinem Alter
entsprechend... und diese Haltung hat sich über drei Alben, seit der letzten
Voodoocult, so entwickelt. Irgendwann hatte ich aber damit abgeschlossen.
Klar, das kann schon daran liegen, daß ich nicht mehr in Malta bin...
Ich fühle mich eigentlich gar nicht alt und wollte wieder anders ans Musikmachen
rangehen, so wie früher vielleicht... ohne jetzt übertrieben an der Vergangenheit
zu hängen. Ich suchte deshalb nach neuen Personen, die mir helfen konnten.
Dann habe ich Olaf Opal, den Produzenten getroffen und damit fing alles
an....
Weil du gerade das
Alter ansprichst... denkt man ab einem bestimmten Alter über das Aufhören
nach oder tun das Andere für einen?
PHILLIP BOA: Das tun in meinem Fall erstaunlich
wenig andere. Selbst in den Medien hält sich das in Grenzen. Ich selbst
habe schon in den letzten Jahren immer mal wieder drüber nachgedacht.
Ich habe zwar überraschend wenig wirklich schlechte Kritiken zu "My Private
War" bekommen, aber es kamen des öfteren solche Sätze vor wie: "Seine
alten Platten sind aber besser" und das hat mich auf Dauer ein bißchen
wütend gemacht.
Die alten Platten
sind immer besser, weil sie den "Nostalgiebonus" haben. Der ist doch bei
neuen CDs nicht vorhanden. Du bleibst aber nicht stehen, definierst dich
immer wieder neu. Diesmal hast du sogar zahlreiche neue Leute um dich
versammelt...
PHILLIP BOA: Olaf, den Produzenten kannte ich schon
von früher (was sich allerdings erst später herausstellte) und wir hatten
sofort so etwas wie eine gemeinsame Ideologie. Die Geschichte startete
auch Olaf, der zwei drei Bands produziert hatte, die ich sehr gut finde,
unter anderem Notwist oder auch Miles und Readymade... Ich wollte mich
drastisch verändern und auch gar nicht mehr mit meinen alten Strukturen
arbeiten. Die Musiker kamen dann auch weitestgehend aus dem Umfeld von
Olaf, allesamt Leute mit denen er gut gearbeitet hatte. Die Hauptperson
war der Miles Gitarrist Tobias Kuhn und der hat fast alle Gitarren und
Bässe eingespielt und sehr hart daran gearbeitet.
Zwar dominieren die
Gitarren über weite Strecken, aber "THE RED" hat auch eine elektronische
Seite....
PHILLIP BOA: Ja, Tobias Kuhn lieferte sozusagen den Grundstein. Dann wollten wir
noch eine elektronische Komponente haben und Olaf hat dann Console ins
Spiel gebracht, der ja auch bei Notwist spielt.
Bei Notwist?
PHILLIP BOA: Ja, seit dem letzten Album "The Shrink"
und er wird auch auf dem nächsten zu hören sein, das im Januar rauskommen
soll.
Und woher kommt die
neue Sängerin?
PHILLIP BOA: Julia lebt seit einiger Zeit in Deutschland
und ich hatte sie zuvor schon auf Festivals live getestet. Da hat mir
und den Fans gefallen, sodaß ich sie bat, die Gesangsparts für das neue
Album zu übernehmen.
Einerseits hat die
Platte viele elektronische Sounds, andererseits kommt am Schluß von "When
I´m Bored" eine kleine Ode an die Doors... oder ist das Zufall?
PHILLIP BOA: Es geht bei diesem Song um die Langeweile.
Wenn du gelangweilt bist, ist auch viel Schönheit darin. Das ist ein sehr
netter Zustand. Und deshalb ist dieses Zitat am Ende sehr selbstironisch
"kannst Du bitte mein Feuer anzünden"..., damit ich nicht mehr gelangweilt
bin.
Dann gibt es noch
eine gesprochene Passage in "Speed", klingt wie ein Text aus einem Buch.
Was ist das?
PHILLIP BOA: Das ist von einer Schriftstellerin,
die ich sehr schätze. Sie heißt Sibylle Berg und lebt in der Schweiz.
Sie hat mir zu meinem Text in "Speed" einen eigenen deutschen
Text gemacht.
"Speed"
ist fast schon Drum`n Bass... PHILLIP BOA: Ist aber
Live gespielt.
Hat sich diese Sympathie
zu derartigen Elektronik- Sounds entwickelt? Ich hatte früher eher den
Eindruck, daß du den elektronischen Musikstilen wenig Sympathie abgewinnen
konntest- oder täusche ich mich da?
PHILLIP BOA: Ich liebe Rockmusik und ich liebe Gitarren.
Und das hört man auch auf dem Album. Aber ich mag die Elektronik in der
Musik, vor allem in der Kombination mit Rock. Da liegt noch ein gewisser
Freiraum, der von den Musikern noch nicht ganz so ausgebeutet worden ist.
Wir waren schon immer die Remixes meiner Songs sehr wichtig. Vor vier
Jahren hat Aphex Twin mal einen Remix gemacht und wir haben seine Sachen
auch auf dem Album eingebaut. Das war "she" damals, glaube ich...
Ich suche andauernd gute Leute für sowas und ich würde auch gern viel
mehr mit ihnen machen, aber leider habe ich dafür immer keine Zeit. Die
Remixes von "Eugene" finde ich alle sehr gut und vor allem sehr kreativ.
Die Besetzung, mit
der das neue Album eingespielt wurde, wird live einige Fragen aufwerfen.
Wie wirst Du das lösen?
PHILLIP BOA: Es ist immer ein Problem, nach der
Studioarbeit das Ganze dann auch live umzusetzen. Ich glaube aber, daß
ich das in der Vergangenheit ganz gut bewältigt habe und auch dieses Mal
ganz gut lösen kann. Ein Song bleibt schließlich immer ein Song. Wenn
Du ihn anders interpretierst, erkennen die Leute das trotzdem.
Das Boa mit "THE
RED" neu erfunden wurde, steht außer Frage. Fühlst du dich nun von anderen
neu definiert oder von dir selbst?
PHILLIP BOA: Ich denke, beides trifft zu. Die neuen
Leute haben mich auch neu interpretiert, und das ziemlich gut. Das sind
alles kreative Persönlichkeiten, die mir geholfen haben. Ich laufe nach
15 Jahren logischerweise Gefahr, mich zu wiederholen oder stehenzubleiben
und ich wurde so in eine Andere Richtung gestoßen. Das war perfekt. Ich
werde das in Zukunft ähnlich gestalten.
Die Promo CD unterschlägt
ein Drittel der neuen Stücke. Ist die Songauswahl repräsentativ, oder
gibt es noch die eine oder andere Überraschung?
PHILLIP BOA: Es gibt da noch ein paar Stücke, die
nicht ganz so genial produziert klingen, weil David und ich das selbst
gemacht haben. Dann gibt es noch ein Stück, bei dem Console sich richtig
ausgetobt hat. "Where The Raingods Meet" ist für mich musikalisch das
genialste Stück auf dem Album. Wir haben nicht die acht besten Stücke
aufs Album gepackt, denn wir wollten vermeiden, daß vor dem Release schon
alles im Internet steht.
Du hast 20 Jahre
Popkultur mitgestaltet und mitgelebt. Wie schafft man es da, sich nicht
zu wiederholen?
PHILLIP BOA: In dem man gewisse emotionale Bodenhaftung
behält. Der Engländer würde sagen "down to earth". Ich bin ja nun "mittelmäßig
erfolgreich" und das hält einen realistisch. Ich weiß, wo ich stehe, werde
nicht überheblich und arbeite kontinuierlich an mir und meiner Musik.
Wenn ich ein Megapopstar wäre, würde ich schon lange keine relevante Musik
mehr machen.
Ist Künstler zu sein
für dich ein Zwang? Oder was würde PHILLIP BOA tun , wenn er wirklich
mal aufhören sollte, Musiker zu sein?
PHILLIP BOA: Gute Frage - die stelle ich mir auch
ständig.... ist eine Schicksalsfrage, allerdings zur Zeit rein hypothetisch,
soaß ich sie erfolgreich verdränge. Zur Zeit macht es mir einfach zuviel
Spaß und ich bekomme von manchen Seiten, die mich in letzter zeit eher
ignoriert haben, gerade wieder den Respekt zurück. Solange ich neue, auch
jüngere Leute erreiche, was man ja live sehr gut nachprüfen kann, hat
die Arbeit noch einen Sinn. Ist das nicht mehr gegeben, sollte man auch
aufhören... und über solche Fragen nachdenken.
Hast Du einen besonderen
Bezug zu den zwei gecoverten Stücken auf den Maxis, zumal Du ja im Nachhinein
mit Deinem Bowie- Cover "Starman" nicht ganz so glücklich warst?
PHILLIP BOA: Mit dem Starman war ich nicht zufrieden.
Das war einer meiner größten Fehler. Nur reizt es immer wieder, Dinge
zu tun, die man nicht machen soll. Das war bei Adam und Eva schon so...
und genau so sollte man niemals "Enjoy The Silence" von Depeche Mode covern.
Stimmt, Depeche Mode ist in der Beziehung so etwas wie eine heilige Kuh.
Das darf man nicht!
PHILLIP BOA: Deswegen habe ich's trotzdem gemacht.
Ich mag das Lied, obwohl ich unsere Gitarrenversion auf kein Album packen
würde. Maxis sind für solche Spinnereien eine schöne Plattform. Das ist
ein Versuch und ob der dann als gelungen oder nicht gelungen bezeichnet
wird, ist mir auch fast egal. Das Original von "First We Take Manhattan"
von Leonard Cohen finde ich dagegen nicht sehr stark. Das Stück stammt
aus den 80ern und ist sehr kitschig. Und da stehe ich hundertprozentig
hinter meiner Fassung, die ich so auch auf ein Album packen würde.
Was hältst du vom
neuen Depeche Mode Album?
PHILLIP BOA: Ich kenne nur die Single, und die hat
mich ein wenig enttäuscht. Meine Freundin fand die CD sofort richtig gut,
während mein Bassist als alter Depeche Mode Fan am Anfang eher skeptisch
reagierte und erst als er die CD öfter gehört hatte, es für gut befand.
Mit dem Album muß man sich beschäftigen und ich glaube das Depeche Mode
immer noch eine sehr gut Band ist. Wir bräuchten in Deutschland solche
Bands, die seit 15 Jahren existieren und prinzipiell gute Musik machen,
die das gewisse "standing" haben, die etwas bedeuten und auch etwas verkaufen.
Gäbe es mehr solche Bands in Deutschland, hätte relevante Musik auch eine
gewisse Plattform. Je besser die Musik ist, um so schlechter verkauft
sie sich in Deutschland- mal drastisch ausgedrückt.
Warum ist das ein
deutsches Problem?
PHILLIP BOA: Weil der Deutsche an sich keine Stars
mag. Ein Liam Gallagher von Oasis ist in Deutschland undenkbar. Dabei
braucht jede Szene Persönlichkeiten, aber denen läßt man hier offensichtlich
keinen Raum.
Wieso hat der Deutsche
ein Problem mit Stars?
PHILLIP BOA: Weil er sehr neidisch ist. Er wird
leicht eifersüchtig und hat auch große Minderwertigkeitskomplexe im Bezug
auf die Qualität deutscher Musik. Das ist in meinen Augen nicht gerechtfertigt,
denn es gibt auch in Deutschland viel gute Musik, die einfach unbeachtet
bleibt.
Danke für das Interview! Bleibt mir noch, dem Leser einen etwaigen
Liveauftritt des neuen Voodooclub wärmstens zu empfehlen- so als
Mentalitätsbewältigungstherapie... Es war wiedermal ein Vergnügen
und, entgegen dem Ruf, der Herrn Boa immer noch vorauseilt, überhaupt
nicht schwierig, mit ihm zu reden... Thomas Manegold
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STECKBRIEF
INTERVIEW
1
INTERVIEW
2
THE
RED VIEW
CD THE RED @ TRANCEFORM
SIBYLLE BERG @AMAZON.DE
BOA on
Tour:
18.10.
Braunschweig - Jolly Joker 19.10. Dresden - Alter Schlachthof 20.10.
Leipzig - Werk 2 21.10. Berlin - Columbiahalle 22.10. Hamburg - Docks
24.10. Bochum - Zeche 25.10. Köln - Live Music Hall 26.10. Darmstadt
- Zentralstation (Contra Promotion)
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