VOODOOCLUB-
Konzerte sind immer noch ein sehr unterhaltsames und musikalisch hochwertiges
Ritual, denn der Meister wurde auch im Hirsch in Nürnberg wie in früheren
Tagen so richtig abgefeiert. Die neue Mannschaft spielte souverän und Sängerin
Alison Galea von der Vorgruppe Beangrovers ist auch live weit mehr als nur
ein Ersatz für Pia Lund. Wir hatten uns zuvor um einen Interviewtermin gekümmert
und konnten so vor Ort PHILLIP BOA noch ein paar Löcher in den Bauch
fragen.
tranceform:
Woher
nimmt PHILLIP BOA seine Inspirationen?
Phillip: Aus
dem täglichen Leben. Ich versuche, viel zu reisen, nicht in typische Urlaubsgegenden,
sondern dorthin, wo das reale Leben existiert. Ich gehe viel ins Kino
und höre mir vielfältige Musik an, nicht nur Popmusik. Ich lese viele
Bücher und beobachte die Menschen. Aus meinen Stimmungen und Erfahrungen
werden Dinge teils bewußt, teils unbewußt abgerufen. Ich versuche, daraus
Texte zu schreiben, die möglichst kein Klischee bedienen.
tranceform: Gibt‘s
da ein Buch oder einen Film, so als Empfehlung?
Phillip: Ich
habe ein Lieblingsbuch. von Antony Burgess "Fürst der Phantome".
Das ist so ein bißchen meine Bibel. Erst gestern habe ich einen Film von
Woody Allen über einen Jazzmusiker gesehen. Das war ein sehr guter Film.
tranceform:
Gibt es etwas, was Du musikalisch unbedingt noch machen willst?
Phillip: Filmmusik. Ich möchte ein paar Lieder schreiben für einen
Film der mir gefällt. Fast wäre so etwas zustande gekommen. Der Film heißt
"Fandango" und wird demnächst veröffentlicht. Aber ich habe in letzter
Minute abgesagt, weil ich mich von der Filmindustrie ausgebeutet sah -
sehr zum Mißfallen meiner Plattenfirma.
tranceform: Hat RCA die Remixes auf deiner aktuellen CD vorgeschrieben
oder hast du dir solche Soundtüftler wie VNV NATION, die ja aus der Electroszene
stammen, selbst ausgesucht?
Phillip: Die wurden vom Musikverlag vorgeschlagen. ich persönlich
finde ihren Remix von "So What" zu kommerziell. Die Leute, die dazu tanzen,
mögen das anders sehen.
tranceform: Fast schon eine Tradition waren bei früheren Boa Konzerten
diese "Arschloch" Zwischenrufe. Machen das die Leute immer noch???
Phillip: Klar, und ich sehe das auch nicht so eng. Es gibt in jeder
Stadt Leute, die beschimpfen mich und stören die ersten Lieder. Irgendwann
werde ich böse und beleidige sie. Dann sind sie meistens auch zufrieden
und ruhig. Das ist schon fast ein Ritual. Dafür ist ein Konzert auch da.
Hier können sich die alltäglichen Frustrationen, die jeder Mensch hat,
in positive Energie verwandeln.
tranceform: Deine Kariere begann 1984. In Laufe der Jahre hast
du viele musikalische Strömungen erlebt und überlebt. Hast du eine Zukunftsvison,
was die musikalische Entwicklung betrifft?
Phillip:
Es wird langsam Zeit, das etwas Neues erfunden wird, weil sich alle wiederholen.
Alles wird recycelt. Deshalb habe ich auch wieder damit begonnen, traditionelle
Songwritermusik zu machen. Mich fasziniert nichts mehr, weil alles nur
noch ausgewertet wird OK, manchmal gibt’s dabei auch recht gute Ergebnisse,
doch die wirklich neue Musik entsteht nur in der Avantgarde, wobei ich
nicht sagen will, daß ich avantgardistische Musik mache. tranceform:
Ist PHILLIP BOA noch das Gewissen der Independent Szene. Gibt es diese
Überhaupt?
Phillip: Zwei gute Fragen. ich denke, es gibt keine Independent Szene
- leider. Ich hoffe, das sich das irgendwann mal ändert, zum Beispiel
mit dem Internet. Meine Einstellung ist da noch genau wie früher: Independent
heißt, ich lasse mich nicht bestechen, nehme kein Sponsoring an, gebe
meine Musik nicht für Werbung oder Filme her, die mir nicht gefallen...
tranceform: ... so wie deinen Bowie Coversong "Starman"...
Phillip: Ein wunder Punkt. Das hat mir mein damaliger A & R Mann
eingebrockt. Den Film dazu habe ich nie gesehen. Diese Coverversion ist
zum Teil sehr heftig kritisiert worden und ich habe da so etwas wie einen
Komplex entwickelt. Mittlerweile finde ich meine Version nicht mehr gut
genug. An so ein Original sollte man sich nicht heranwagen, denn es ist
einfach nicht zu toppen.
tranceform: Jetzt wird er auch noch bescheiden :-) .... vorübergehend,
denn PHILLIP BOA sagte gegen Ende des Konzertes: "Ich höre auf, wenn ich
das für richtig halte, wenn ich glaube, daß es jemand besser machen kann.
Das wird wohl noch eine Weile dauern. Und wenn jemand das anders sieht:
"So what!" Recht hat er. Wir bedanken uns für das Interview.
Thomas Manegold
& Volker Sievers
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STECKBRIEF
INTERVIEW
1
INTERVIEW
2
THE
RED VIEW
Die "BoaBibel" vom Clockwork
Orange Autor Antony Burgess
"Ja, damals gab es noch diese "Arschloch"- Rufe...."
(MP3 113s/ 680k)
<"Thema: Zukunftsvision.... hast Du eine im bezug auf die Musikszene
in Deutschland?" (MP3 44s/ 356k)
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