PHILLIP BOA - Rebirth of Voodooclub

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Interview 2/00
von Ewald Funk
   

Oh Mann, was bin ich früher fluchtartig gerannt, wenn sie auf dem Tanzboden "Container Love" von PHILLIP BOA & The Voodooclub aufgelegt haben! Boa war der Inbegriff für "avantgardistische Indiemusik", stets bemüht, nicht zu berühmt und erfolgreich zu werden. Seine Platten enthielten stets neben guten auch bewußt "schlechte" Tracks, schließlich könnte man ja sonst seine Credibility verlieren. Nach etlichen Jahren Pause kommt nun mit My Private War mal wieder eine typische Boa- Scheibe raus: Ein vorzügliches Indie- Album mit Ecken und Kanten, aber auch poppig glatt und vor allem für seine Verhältnisse vorzüglich durchhörbar.

Der Meister himself durfte dann nicht nur von uns Komplimente für sein Album empfangen.

tranceform: Kompliment für die Platte! Eine schöne Zeitreise zurück zu den alten Zeiten!

Phillip: Das hast du gut formuliert. Die Zeitreise war eigentlich genau die Intention für die Aufnahmen. Wir wollten im Jahr 2000 leben, aber auch teilweise eine Zeitreise machen, jedoch, ohne "Retro" zu sein. Wir wollten einen spielerischen, manchmal auch avantgardistischen Weg innerhalb der Popmusik suchen und trotzdem zeitlos zu klingen. Das war wahrscheinlich auch die Anweisung an den Mixer: Zeitlos zu klingen.

tranceform: Bei mir stand damals eigentlich nur die "Hispanola" im Plattenschrank, das war ein Pflichtkauf für ambitionierte Musikexpress-Leser zu dieser Zeit. Ich habe deine Musik eher zu Zeiten deines Metalprojekts kennen gelernt, da war dann ein Konzert mit Waldemar Sorychta und Dave Lombardo in Erlangen.

Phillip: Aah, Erlangen, ich kann mich erinnern, das war wahrscheinlich noch ganz gut besucht, oder?

tranceform: Ja, ich hatte damals keine Vergleiche. Wie denkst du heute über "Voodoocult" ?

Phillip: Aus kommerziellen Gründen hätte ich das nicht machen sollen. Das war mir aber von vornherein klar. Es gab eine Zeit, in der ich wahrscheinlich Angst davor hatte, zu groß zu werden. Das war diese "Lupinia"-Zeit. 1993 haben wir am meisten verkauft und ich wollte irgend etwas tun, was meine Karriere ein bißchen aufhellt ... oder zurückwirft. Die Attitüde war, das zu tun, was die Leute nicht erwarten, sie im Prinzip vor den Kopf zu stoßen. "Heavy Metal, wie kann man denn so etwas machen", genau das hat mich gereizt. Voodocult war eine angenehme, relativ kurze Zeit. Es hat keine zwei Jahre gedauert und ich habe viele nette Leute kennengelernt. Musikalisch war das auch ganz toll, denn solche Leute wie Dave Lombardo sind irgendwie Koryphäen und auch live die Herausforderung! Ich bin nicht der Metalshouter und habe es trotzdem gemacht. Ich wurde damit angreifbar.

tranceform: Auf deinem neuen Album erinnert mich der Song "Summer in Saigon" sehr an die Endzeitstimmung in dem Film "Apocalypse Now" .... "The End" von den Doors, der einzige Song von ihnen ohne diese verdammte Schweineorgel...

Phillip: Aaah, ja, ich weiss, was du meinst. Dieser Song ergibt in Verbindung mit "Apocalypse Now" ein sehr sehr schönes Bild, das stimmt. Solche Inspirationen finde ich besonders gut, weil sie Atmosphäre erzeugen. So entstehen Bilder beim Hörer. Ich glaube, das ist mir bei diesem Song ganz gut gelungen.

tranceform: Wie kam es zu dieser Instrumentierung bei diesem Song? Es werden ja jede Menge exotische Instrumente benutzt.

Phillip: Das habe ich fast alles selbst gemacht..

tranceform: Ups! Machst du viel im eigenen Studio in deiner Wahlheimat Malta?

Phillip: Das ist nicht mein Studio. Das ist das Studio meines Freundes David Weller. "Summer in Saigon" ist hauptsächlich hier entsanden. Es kommt auch ein bißchen Velvet Underground dazu, von der Gitarre her. Und ich habe, ääh, den Baß gespielt, wie fast alles bei diesem Song. Und, ja, das ist ein tolles Lied.

tranceform: Interessant auch "In Freudian Underwear"...

Phillip: Ja absolut, das ist eine Metapher. Es ist nicht immer gut, wenn ich meine Songs zu sehr interpretiere. Wenn du Textzeilen nimmst wie "I switch on my TV bought a paradise of fools"... also so sehe ich Fernsehen heutzutage. Das ist eine Art Gesellschaftskritik, und mündet im Refrain in "freudian underwear". Die Gesellschaft braucht im Fernsehen und überall eine Menge Analysen, um das Idiotentum zu bekämpfen, aber das ist mit einem Augenzwinkern gemeint, nicht verbittert oder zu zynisch.

tranceform: Was hat sich denn für dich gesellschaftlich in den letzten Jahren geändert? Heute gibt’s Handys überall? Auch in Malta?

Phillip: In Malta ist es genauso schlimm. Ich habe kein Handy. Ich hasse diese Funklöcher! Internet und Email finde ich noch ganz interessant, muß ich dazu sagen. Email ist schon ein bißchen Hype, ein bißchen Bullshitting. Für mich ist es immer noch schneller ein Fax zu verschicken. Es ist aber OK. Man kann geschäftlich gut und schnell kommunizieren.

tranceform: Wie hat sich denn Malta so verändert in den letzten Jahren mit dem zunehmenden Tourismus?

Phillip: Malta ist schon in den letzten Jahren vom Tourismus ziemlich mißbraucht worden. Und gerade so in der Touriesaison Juli/August ist es dort eigentlich zu voll und zu hektisch. Ich weiß nicht, Malta, man hasst es oder man liebt es, aber es gibt kein Dazwischen.

Beobachtest du eigentlich auch, von deinem Inselchen aus, das politische Tagesgeschehen hier in Deutschland? Die Spendenaffären?

Phillip: Ich bin in jedem Fall politisch interessiert, denke aber, daß ich mich nicht zu sehr politisch äußern sollte. Das was ich momentan sehe, ist die typische politische Heuchelei. Jeder weis, daß solche Mauscheleien schon immer passiert sind. Helmut Kohls Denkmal wackelt einfach, und viele Leute haben sich an seiner angeblichen Nichtbestechlichkeit festgehalten. Das hat ihm seine Allmacht garantiert. Es ist -glaube ich- ein ziemlicher Schock für die Leute gewesen, daß gerade er so bestechlich war.

tranceform: Manche Künstler schocken auch heute noch die Öffentlichkeit mit ihren Gags, aber genau genommen ist eigentlich schon alles passiert, was Skandale produzieren kann.

Phillip: Stimmt, es ist eigentlich auch alles schon mal gemacht worden... Viele Skandale im Musikbusiness waren einfach erfunden und erlogen. Wenn ich heutzutage lese , was Rockstars so an Skandalen produzieren, ist ganz amüsant, weil ich weiss, dass vieles nur der Imagebildung dient.

tranceform: Heutzutage geht es ja im Rock'nRoll nicht mehr so schlimm zu, was Drogen angeht.

Phillip: Oh, doch, das ist immer noch ziemlich heftig. Ich spreche jetzt nicht über mich selbst, aber es ist immer noch existent.

tranceform: Hast Du eine Abneigung gegen Drogen?

Phillip: Ich habe keine Angst davor, ich bin nur vorsichtig. Drogen manipulieren die Menschen zu sehr. Sie verlieren ihre Persönlichkeit und merken es nicht. Klar, ist Heroin eine andere Geschichte als Kokain zum Beispiel. Aber beides verändert die Menschen und nimmt ihnen ihre natürliche Persönlichkeit. Das sehe ich als Gefahr. Genau wie bei Trips oder so etwas. Es hat immer so einen traurigen Beigeschmack, wenn man sieht, wie die Leute sich verändern. Wenn sie nicht mehr eins mit ihrer Welt sind, werden sie oberflächlicher und das gefällt mir nicht.

tranceform: Habt ihr "My Private War" eher schnell produziert und aufgenommen?

Phillip: Nein, es sind schon in den letzten zwei bis fünf Jahren ein paar Dinge passiert, die mich schon negativ belastet oder ziemlich wütend gemacht haben, deshalb auch der selbstironische Titel "My Private War". Es lief alles nicht so reibungslos. Ich habe irgendwann mal Ruhe gefunden und diese Platte hat mir wieder etwas Selbstbewußtsein gegeben. Das hat mich ein bißchen wieder aufgerichtet. Teilweise hört man etwas die Verzweiflung und die Wut auf der Platte. Es ist also wichtig, als Künstler nicht immer glücklich zu sein, sonst würde man zu ausgeglichen klingen.

tranceform: Das ist auch bei Lyrikern oder sogar Journalisten so. Da spielt die Partnerschaft auch eine Rolle.

Phillip: Ja, man kompensiert solche Probleme damit.

tranceform: Persönliche Frage: Wie alt bist du jetzt?

Phillip: Mitte 30.

tranceform: Wenn du jetzt zurückblickst. Bist du gescheiter geworden?

Phillip: Ja, das ist normal. Das ist wahrscheinlich auch das Interessante daran. Ich denke, daß auch eine Menge Menschen auch das Unglück brauchen. Man muß lernen, mit dem Negativen Kraft zu schöpfen, über mißliche Situationen nachzudenken. Und man muß einfach auch mal darüber lachen können.

tranceform: Nur ist mir bei meiner Trennung jetzt das Lachen vergangen, vor allem weil unsere Kinder ins Spiel kamen.

Phillip: Das ist schwer, ich hatte vor ein paar Jahren die selbe Situation. Ich muß sagen, Kinder, besonders wenn sie jung sind, können eine Menge einstecken. Man muß ihnen einfach immer noch die selbe Liebe geben, auch wenn man getrennt ist.

tranceform: Na, das hört sich schon mal positiv an.
Ewald Funk
, Fortsetzung

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