Ein Interview mit Matsaleh-Autor Chris Todoroski.
Im Sommer 2019 ist in der Edition Subkultur der alternative Reiseroman „Matsaleh“ erschienen. Der Protagonist Petar Stojanoski reist darin nach Malaysia, geht aber anstatt zu arbeiten lieber auf Konzerte und freundet sich mit Einheimischen an.
Der in Kuala Lumpur (KL) lebende Autor Chris Todoroski führt mit schrägem Humor, viel Bier und einer gehörigen Portion Anarchie seinen Ex-Punk aus Deutschland durch die faszinierenden Besonderheiten Malaysias. Silvia Klein hat mit Chris über Musik, Südostasien und Hardcorefestivals mit Gebetspause geredet.
In „Matsaleh“ spielen Punk-Musik und die Punkszene eine wichtige Rolle. Warum hörst Du gerne Punk?
CT: Ich höre seit geraumer Zeit gar keine Punkbands mehr, denn ich habe musikalisch längst andere Richtungen eingeschlagen. Angefangen hat natürlich alles mit „alte Schule“-Punk als ich 12/13 Jahre alt war. Von den Dead Kennedys, Bad Brains, Operation Ivy und Circle Jerks, bis hin zur gesamten Skatepunk-Palette. Mitte der 90er gewann ich auch meine ersten Einblicke in Subgenres wie Hardcore, Crust, Grindcore, Powerviolence, Sludgecore und Metalcore, die die Ideale und den typischen Sound des Punk in völlig andere Dimensionen katapultiert haben. Bands wie Spazz, Discordance Axis, Zegota, Dropdead und Catharsis haben mein musikalisches Bewusstsein unheimlich erweitert und mein kritisches Denken angeregt. Die dritte, große Abzweigung erfolgte mit Postcore/Doom Bands wie etwa Isis, Cult of Luna, Amen Ra, Year of no Light und Rosetta, die mich spirituell tief berührt haben. In diesem Genre bin ich nach wie vor hauptsächlich unterwegs.
Und was lässt Dich, auch wenn die Genres gewechselt haben, immer noch in der Musikszene unterwegs zu sein?
CT: Es ist wohl die Kombination aus Innovation, Soundproduktion, Ehrlichkeit, Tiefsinnigkeit und destruktiver Schönheit besonders bei den letztgenannten Bands, die in mir den Drang auslöst, diese allabendlich zu hören.
Hast Du eine Konzertanekdote für mich? Ein kurioses, witziges oder auch berührendes Erlebnis?
CT: Prinzipiell ist schon der Besuch eines „normal ablaufenden“ Konzerts aus den genannten Genres bereits ein Erlebnis für sich. Ob Circle Pit, Stagediving oder der gute alte Pogo bei den Crust- und Hardcoreshows. Oder mein persönlicher Favorit: diese beinahe geisterhafte Stille und innere Einkehr sowohl der Künstler wie auch des Publikums bei den düsteren Doom/Sludge Bands.
Ein Ereignis kommt mir da in den Sinn. Es war während meiner Dozententätigkeit in Thailand vor einigen Jahren, als ich eines Abends mal wieder die Immortal Bar zwecks Hardcoreshow aufsuchte. Dass die gesamte (typische) Hardcoreklientel draußen vor dem Eingang genervt herumstand, obwohl drinnen schon die Mucke lief, machte mich bereits etwas stutzig. Also schob ich die Tür auf und blickte auf eine Runde extrem gestylter, sexy Frauen mit Champagnergläsern, als exklusives Publikum vor der Bühne aufgereiht, die die Band, bestehend aus Anzugträgern, übertrieben abfeierten. Irgendwas war faul an der Sache. Schließlich erklärte mir einer, dass diese Band (natürlich) nicht zur Szene gehörte. Es waren Bangkoker Geschäftsmänner, die Thai-Rock mit etwas Metal-Einfluss spielten und bei den Auftritten stets „ihr“ Publikum vermissten. Also haben sie kurzerhand die Immortal Bar für eine Stunde privat gemietet und ein Dutzend Escort-Ladies angeheuert, um sich auf der Bühne endlich als Rockstars abfeiern zu lassen. Und das in einem „Subkultur“-Laden. Es war einfach nur grotesk, hinterließ für den Rest des Abends aber ein Dauerschmunzeln in meinem Gesicht.
Welches Vorurteil um Punk und die Community kannst Du nicht mehr hören?
CT: Ich bin kein Punk. Wenn man es genau nimmt, ist auch „Matsaleh“ in Bezug auf die portraitierten Bands aus Asien eher ein Grindcore-Roman. In diesem blicke ich eher nostalgisch auf die Punk-Szene zurück, ohne sie dabei im „ausgeschalteten“ Autorenmodus hier und heute zu vermissen. Es war Anfang der 90er großartig und ein wichtiger Bestandteil meiner Persönlichkeitsentwicklung mit dem Bad Religion-Tape im „Kasi“ unter Gleichgesinnten besoffen im Duisburger Stadtpark abzuhängen und „Faulheit, Verrohung, Gesellschaftsbedrohung, Drogenkonsum und asoziales Verhalten“ als Lebensmaximen aufzustellen. Doch irgendwann teilte sich die Community in zwei verschieden Typen von Punks. Einerseits in diejenigen, die den Texten und der Message ihr volles Gehör geschenkt haben, andererseits in die, die nie wirklich hingehört haben. Letztere findet man heute nach wie vor saufend im Park vor. Erstere in Schulen als Lehrer, in Unis als Wissenschaftler, als Journalisten oder gar in Unternehmen.
Ein Großteil des einstigen Ethos befindet sich bereits im Vergreisungsprozess. Und der Punk ist sich dessen gut bewusst. Dies erklärt zumindest die Mittel, mit denen er versucht, diesem Vergreisungsprozess entgegenzuwirken. Ein Beispiel ist die Zwangsverheiratung mit der Kommerzkultur, obwohl sich vorher zwei Punk-Generation strikt dagegen wehrten. Resultat bzw. logische Folge dessen: Der Punk hat damit als pures Musikindustrie-Standard-„Produkt“ endgültig das Niveau der Britischen Charts erreicht. Den Zweck einer Kuschelrock-CD in den 90ern erfüllen heute Green Day und Pennywise. Kommerz-Punk ist „romantic fuck“ geworden. Was den DIY-Punk angeht, so ist auch er in den immergleichen platten Statements hängengeblieben. Ehrlich gesagt, ist für mich in Sachen Attitüde und dem Aufzeigen gesellschaftlicher Probleme eine Folge der „Heute Show“ mittlerweile zehnmal mehr „Punk“ als irgendeine Punkmusik-Neuerscheinung. Es fehlen die Bissigkeit und der intellektuelle Zynismus in den Texten, es mangelt an einer frischen, kontroversen Spiel- und Gangart. Und überhaupt: Warum müssen Autonome Zentren eigentlich immer so übelst versifft sein? Ich finde, auch ein Punk hat das Recht in Würde seine Wurst abseilen zu dürfen.
Was fasziniert Dich an der asiatischen Subkulturszene?
CT: Vieles – und das im negativen Sinne. Etwa dass innerhalb der Szene kaum bis gar nicht über Politik und Gesellschaftskritik geredet wird. Es ist diese asiatische dezente Zurückhaltung, die als sozialer Usus tief in der Kultur verankert ist und eigentlich konträr zur Punkethik steht. Hierbei muss natürlich berücksichtigt werden, dass von Staatsseiten her der Begriff „Meinungsfreiheit“ einer anderen Definition unterliegt als etwa in Deutschland. Ob bei Festivals oder anderen Subkultur-Events: Man muss schon vorsichtig sein, was man wann, wo und vor allem an wen gerichtet sagt. Statements gegen Politiker etwa, die in Deutschland völlig normal sind und kaum jemanden kratzen, können hier fatale Folgen haben. Ein anderer Faktor ist die Religion, sprich der Islam, der auch in der Underground-Szene „unberührbar“ bleibt. Selbst bei den „krassesten“ Hardcorefestivals werden beispielsweise die Gebetsstunden eingehalten, was besonders für das Freitagsgebet (jumaat) gilt. Ein anderer, eher kurioser Faktor ist das Medium Kasette, welches hier als Nummer Eins für DIY gilt, aber auch von größeren Bands noch verwendet wird. Besucht man einen Underground-Plattenladen in KL (z.B. Tandang Store oder Basement Records) findet man sich in Räumen vollgestopft mit Kassetten wieder, was sich wie eine Zeitreise in die Vergangenheit anfühlt.
Ist Punk in Südostasien noch „echter“ und somit ernstzunehmender als in Europa/Nordamerika?
CT: Subjektiv zu urteilen: Nein. Und das finde ich auch gut so. Die Leute nehmen die ganze Attitüde nicht so verbissen ernst wie in Europa. Es ist auch weniger „Exklusivität“ in den Autonomen Zentren spürbar, was ein breitgefächertes Publikum zur positiven Folge hat. Viele der Wochenend-Konzertbesucher nehmen etwa Crust-, Grind- oder Hardcoreshows zum Anlass, um sich einfach mal auszutoben und den wöchentlichen Bürostress „rauszumoshen“. Die Szene ist für malaysische Maßstäbe relativ groß und expandiert nach wie vor, doch bleibt am Ende nur ein überraschend kleine Gruppe von Leuten übrig, die die Szene am Leben erhalten. Verbringt man eine längere Zeit hier, lernt man automatisch die immer gleichen „zehn Leute“ kennen, die hinter der Eventorganisation, Musik, Zine Distribution etc. stehen.
Hat Deiner Meinung nach die Punkszene einen Einfluss auf die Gesellschaft, d.h. können Bands wirklich etwas bewegen oder sind all die Parolen und Songs nur heiße Luft?
CT: Ja, sie hat einen Einfluss. Jedoch nur einen subtil vorhandenen. Beim „Stil“ ist es offensichtlich: Tattoos, Piercings, abgewetzte Hosen etc. sind genreübergreifend überall zu finden. Persönlichkeiten wie Sascha Lobo oder Kabarettisten wie der Schweizer Andreas Thiel haben den roten „Exploited“-Iro zu ihrem Markenzeichen gemacht. Und ich finde, das passt auch. Gerade bei Andreas Thiel kommt die „Message rüber“. Auch denke ich, dass die Antifa-Bewegung heute ohne den konstanten Alternativkultur-Impuls der letzten Generationen viel kleiner und weniger präsent bzw. gesellschaftlich mitgestaltend wäre. Dies gilt auch für die Vegetarismus/Veganismus-Welle, LGBT-Bewegung, wie auch die in vielen Einrichtungen und Firmen flachen hierarchischen Strukturen, die sich steigernder Beliebtheit erfreuen. Wie für viele Bereiche gilt auch für die Alternativkultur das Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.
„Matsaleh“s Protagonist Petar hat sich von einer Firma einstellen lassen, nur um diese zu betrügen und auf deren Kosten zu reisen. Welche Motivation steht hinter dieser Aktion?
CT: Natürlich geht es um unethisches Verhalten und Anstandslosigkeit in der heutigen Geschäftswelt, besonders die Egomanie so mancher CEOs und Manager, mittels derer sie sich auch noch gegenseitig zu übertreffen versuchen. Und was das Schicksal des Charakters „Herr Möller“ angeht, so würde man hier in Malaysia wohl sagen: Karma, my friend. Sweet karma!
Wie sieht Dein Schreibprozess aus, planst Du zuerst die gesamte Handlung oder schreibst Du einfach drauf los?
CT: Der erste Schritt ist, einfach drauf los zu schreiben – von Anfang bis Ende. Hierbei wird der „Rohteig“ geknetet und gedehnt, sprich, das Intuitive aufgefangen, gesammelt und als Basis verwertet. Danach folgt eine gründliche Revision (ohne Recherche), wobei gut die Hälfte im Müllkorb landet. Anschließend ein zweiter Entwurf (mit Recherche). Das war’s im Prinzip.
Gibt es etwas, das Du (zukünftigen) Lesern Deines Buches mit auf den Weg geben möchtest?
CT: Ja, gibt es. Und zwar ein Zitat von Einstein, welches lautet:
Kreativität ist Intelligenz, die Spaß hat.
Um dieser Kreativitätsentfaltung eine Plattfom zu geben, bedarf es der Bereitstellung adäquater, freier Kulturschaffungsräume. Daher mein Appell: Ob Literatur, Musik, Film etc. – unterstützt die Independent-Szene! Die Wichtigkeit dieser für den Erhalt einer gesunden, vielfältigen und progressiven demokratischen Gesellschaft kann nicht oft genug betont werden. Bleibt kritisch und sucht den offenen, konstruktiven, respektvollen Dialog. In diesem Sinne: Punk’s not dead!
Danke für das Interview!
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Matsaleh7,99 € – 12,50 €