Subkultur-Nacht @ Periplaneta Literaturcafé.

Es ist Freitag, der 05.06.2015, und die unterschiedlichsten Gestalten versammeln sich für die angekündigte Subkultur-Nacht ab 19.00 Uhr im Periplaneta Literaturcafé.  Subkultur ist eine Edition des Periplaneta-Verlags speziell für Musik und Literatur abseits des Mainstreams. Also etwas für die Andersmenschen, die Nichtmitläufer und Querdenker.

„Das Präfix Sub-“, erklärt Autor und Herausgeber Thomas Manegold gleich zu Beginn, „bedeutet unter– und auch gegen– und eine Subkultur ist somit eine Instanz, die innerhalb einer massentauglichen Kulturlandschaft autark funktionieren soll und einen Gegenentwurf darstellt.“
Nicht verwunderlich also, dass 20.00 Uhr noch nicht alle Künstler da sind und sich der Beginn eine Viertelstunde verzögert – immerhin ist das ja noch das akademische Viertel – als endlich der letzte Künstler, Gary Flanell, das Literaturcafé betritt. Der hatte seine Verspätung bereits angekündigt und Thomas hat das Publikum darum gebeten, sein Eintreffen zu applaudieren. Es sei nur recht, meinte er, wenn’s ihm peinlich wäre.

Gary Flanell

Gary Flanell (Posterboy-Edition)

Unter weisungsgemäß tosendem Beifall übernimmt Gary dann auch gleich als Erster das Mikrofon und berichtet von seinem derzeitigen Umzug nach Lichtenberg. Das wäre auch der Grund, warum er so viel Grau im Haar hätte, erklärt er augenzwinkernd. Das sei alles nur der Staub. Nach einer kurzen Diskussion darüber, ob man Lichenberg noch als einen Teil Berlins ansehen kann – (Fazit: Ja, denn wenn man nur zwei Stationen von der Ringbahn entfernt wohnt, kann man sich noch als Berliner bezeichnen. Sagen zumindest die anwesenden Berliner selbst.) – liest er seine Kurzgeschichte „Amerika“ aus seinem Buch „Stuntman unter Wasser“ vor.

HC ROTH

Während der eigens aus Österreich angereiste HC Roth aus seinem Kinderbuch „Krokodil mit Schwimmflügeln“ liest, werden Illustrationen aus dem Buch auf die Leinwand hinter ihm projiziert. Die passen zwar nicht immer zu der Szene, die er gerade vorliest, aber das stört auch nicht weiter. HC Roth hat Spaß und schafft es sogar, alle Erwachsenen gemeinsam singen zu lassen.
Thomas Manegold setzt sich von seinen Vorgängern ab, indem er nicht aus einem eigenen Werk, sondern stattdessen das erste Kapitel aus Heiko van der Scherms „Die Aristokraten“ liest. Der Inhalt – ein Mädchen findet die Pistole ihres Vaters und will ihm in den Kopf schießen – hat mich total gefesselt. Natürlich ist damit die heitere Stimmung erst einmal dahin, doch das währt nicht lange, da das Mädchen aus Berlin schon bald barfuß die Bühne betritt und mit ihren witzigen Liedern über Herzschmerz die Stimmung wieder hebt.

Mädchen aus Berlin

Die zweite Hälfte des Abends leitet Gary Flanell mit der Kurzgeschichte „Seehund“ ein, die er so überzeugend vorliest, dass ich mich vor Lachen auf dem Boden kugeln könnte. (Glücklicherweise stehen um mich herum genügend Stühle, an die ich mich klammern könnte, wodurch mir diese Blamage erspart bleibt.) Er erklärt sehr plausibel, warum Meerjungsfrauen eigentlich zur Hälfte Frau und zur Hälfte Fisch sind. Zwar hatte ich mir vorher nie wirklich die Frage gestellt, woher Meermenschen kommen, aber jetzt könnte ich darauf antworten.
HC Roth erzählt uns von der neuen Band, die er vor nicht langer Zeit zusammen mit Gary Flanell gegründet hat: Urs grob bootsbetrieb.  Beide verkünden sogleich spontan, an diesem Abend noch eine kleine Kostprobe zu geben.

Gary Flanell & HC Roth

Anschließend liest Thomas aus Michael Schweßingers „Vaterland ist abgebrannt.“ Das Kapitel „Some remarks about Germany“ (ein sozialkritischer Text zu den Deutschen) ist zwar kurz, aber gut geschrieben und der Zynismus spricht mich an. Danach betritt wieder das Mädchen aus Berlin die Bühne – diesmal mit einer Bierpulle in der Hand – und sie erzählt, wie sie einst für den Verkäufer einer Supermarktkette schwärmte, der ihre Gefühle allerdings nicht erwiderte. Das folgende Lied hat sie geschrieben, um über ihren Kummer hinwegzukommen. Klingt alles sehr traurig, ist es aber nicht. Das Lied ist total witzig und auch ein bisschen albern. Aber gerade das macht es so klingeltonwürdig.

Mädchen aus Berlin

Dann wird die Veranstaltung offiziell für beendet erklärt und Thomas kann für alles Folgende die Verantwortung ablegen.
Urs grob bootsbetrieb schnappen sich das Mikro und geben spontan ihre „Weltpremiere“: Mit einer Sonnenbrille auf der Nase klopft HC Roth mehr oder weniger im Takt auf einem Hocker rum, Gary Flanell grölt davon, dass er gerne Polizisten verspeist und ich komme aus dem Lachen nicht mehr raus. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so etwas Absurdes gehört zu haben.
Mit dem Lied klingt auch der Abend allmählich aus. Während wieder einige Gäste ihren Weg zur Theke finden oder vor der Tür noch eine Zigarette rauchen, wechseln  auch einige CDs und Bücher den Besitzer. Ich greife zufrieden nach meiner Tasche und mache mich auf den Heimweg.

Fazit: Unkonventionell und extrem spaßig war dieser Abend und sicherlich nicht nur für mich eine Horizonterweiterung.

Vanessa