Zum neuen Adversus-Album

Kurz vor dem letzten Wintereinbruch vereinbarten die Band Adversus, das Musiklabel Sonorium und Periplaneta eine erst- und bis dato einmalige Zusammenarbeit, deren Ziel ein opulentes Bundle aus Buch und CD war. Nun sind solche Bundle als limitierte Version oder „Fan“ Edition“ nichts Ungewöhnliches mehr, jedoch ist der Opus „DER ZEIT ABHANDEN“ ein Gesamtkunstwerk, das es auf ausdrücklichen Wunsch der Band nur als Gesamtheit geben wird.

Konsequent sind auch die inhaltlichen Prallelen, denn zu jedem Song auf dem Album wurde im Buch eine von Mastermind Torsten Schneyer geschriebene Geschichte verewigt, sodass sich Musik und Geschichten mehr als nur ergänzen. Das Experiment ist geglückt und wir wissen nun, dass ohne diese Gemeinschaftsproduktion die Welt um einen wirklich guten Schreiber ärmer wäre… Denn bei allem Lob, dem ADVERSUS nun nach mehrjähriger Bühnenabstinenz, wegen ihrer druckvollen Musik habhaft wird, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass sich hier nicht nur eine Band neu erfindet, sondern auch ein großartiger Autor ein mehr als beachtliches Debüt abliefert…

Nun hat sich die Band einer eingehenden Befragung ausgesetzt, deren Ergebnis inhaltsgleich auch auf ihrer Webseite zu lesen ist. Das Interview führte Eva Reiner.

Da das Warten schließlich ein Ende und der Rest der Welt nun Zugang zum neusten adversianischen Machwerk hat, scheint es lohnenswert den Musikern bezüglich des einen oder anderen Sachverhalts etwas genauer auf den Zahn zu fühlen, vielleicht noch das eine oder andere interessante Detail hinter den Kulissen und aus den Tiefen diverser Geister hervor zu zerren und der interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren.

  • Rosendorn, worin siehst du die entscheidenden Veränderungen, Verbesserungen und Neuerungen dieses Albums im Vergleich zu seinen Vorgängern?

Rosendorn: Den meisten Leuten fällt zurzeit auf, dass unser neues Album deutlich härter und metallischer als seine Vorgänger ausgefallen ist. Dies liegt auch daran, dass Thomas nun nicht mehr nur als Livedrummer fungiert, sondern auch an der CD mitgearbeitet hat… und wenn man solch einen Knüppeltroll im Keller gefangen hält, dann muss man ihn mit harten Gitarren füttern, sonst wird er böse! Darüber hinaus habe ich zusammen mit Tommy Steuer von Sonorium viel Zeit in den Klang der Scheibe gesteckt. Alles ist nun viel klarer und transparenter als früher. Auch wenn unsere Hörer die Klangdichte und Komplexität von Adversus schätzen, hatte manch einer mit dem Overkill des letzten großen Werks seine Einstiegsprobleme. Ich habe daher versucht, mich im Hinblick auf parallele Spuren ein bisschen zu beschneiden um die Stücke etwas weniger erschlagend klingen zu lassen. Natürlich sind sie das immer noch auf ihre Weise, aber die „neue Adversus“ ist deutlich zugänglicher als „Einer Nacht Gewesenes“. Gleichzeitig ist sie inhaltlich bitterer und härter. Paradox, oder?

  • Angenommen wir wären alle „an einem besseren Ort“, Utopia o.ä., und Geld und Zeit hätten keine Rolle gespielt, was würdest du an der aktuellen Produktion noch verändern wollen? Oder anders ausgedrückt, wie zufrieden bist Du mit deinem neusten Werk?

Rosendorn: Utopias sind langweilig, denn erst die Herausforderung, bestehend aus vielen kleinen Hindernissen, spornt Künstler zu ihren Leistungen an. Eine der Geschichten im der CD beigelegten Buch heißt „Entropia“, was ein Zusammengesetzes Kunstwort aus „Entropie“ und „Utopia“ ist. Entropie als physikalischer Begriff beschreibt die Neigung geschlossener Systeme, einen energetisch möglichst neutralen, ausgeglichenen Zustand herzustellen und letzten Endes den nicht umkehrbaren Wärmetod des Universums. Populärwissenschaftlich-philosophisch ist die Entropie die Neigung der Finge, ins Chaos abzugleiten, egal wie sehr man sich um einen geordneten Idealzustand bemüht. Murphys Law, wenn du so willst. Dieses Spannungsfeld aus Träumen und harten Realitäten ist für den Künstler undglaublich wichtig. Ohne Spannung und Reibung an der Wirklichkeit keine Kunst! Adersus ist eine No-Budget-Band, finanziert durch unsere echten Jobs, ein paar verkaufte T-Shirts und einen gutmütigen Plattenlabel-Chef. Ich versuche, mit quasi nicht vorhandenen finanziellen Mitteln anspruchsvolle Alben, interessante Bücher und schöne Videos zu produzieren und ohne unsere Partner – diesmal sind es Sonorium zusammen mit Periplaneta- würde das nicht funktionieren. Auch die Wahl unserer Ausdrucksform macht es nicht einfacher: 99% der Leute, die eine CD von Adversus in die Finger bekommen, fragen sich: „Das soll DAS denn sein? Meint der das ernst?“. Die intellektuell eher minder bescherten sitzen ratlos vor meinem Schreibwerk, den ganz Harten sind ist die Musik zu softie-kitschig (Klassischer Frauengesang und Romantik… Igittigitt!), den Weichgespülten wiederum zu hart („warum muss der Kerl so schreien?“) den Puristen viel zu überladen („Hätte ein Instrument nicht gereicht?“) usw. Adversus bedeutet wohl auch, unverstanden zu sein und keinem Genre richtig anzugehören, was sich natürlich nicht gerade direkt in die Charts führt. Aber genau dieser Kampf gegen Widrigkeiten ist es, den Kunst braucht,. Wenn einem alles in den Schoß fällt, gibt man sich keine Mühe mehr.

  • Warum greifst du mit Track 4 ausgerechnet auf die das Album „Einer Nacht Gewesenes“ immer wieder durchziehende Kennungsmelodie und Thematik zurück?

Rosendorn: Als ich mit Einer Nacht Gewesenes fertig war, war ich wirklich „fertig“ in dreifachem Sinne (und es sei Euch allen erlaubt, darüber eigene Spekulationen anzustellen). Doch zu Beginn der Arbeiten an der neuen CD spürte ich, dass ich zumindest mit dem Thema der Platte noch nicht ganz durch war, dass es da noch Dinge zu sagen gab; musikalisch wie textlich. Es war schön, die Geschichte dieses Albums noch einmal richtig aufzuschreiben, ein bisschen darüber zu phantasieren und dann eine Art Medley auf die alten musikalischen Themen zu komponieren. Nun soll es damit aber gut sein.

  • Aysel, deine klassische Gesangsstimme glänzt nicht nur als weibliche Hauptsängerin von Adversus. Wo und wie lernt man so zu singen?

Aysel: Durch jahrelanges hartes Arbeiten an der Stimme. Ich nehme privaten Gesangsunterricht. Eine gute Gesangslehrerin ist da Gold wert, die muss man aber erst mal finden. Das war gar nicht so einfach. Meine klassische Gesangsausbildung ist heute immer noch nicht abgeschlossen. Ich lerne immer wieder Neues, obwohl die Gesangstechnik nicht wirklich neu ist, aber es erscheint irgendwann im neuen Licht, weil man plötzlich versteht, wie es richtig ist und wie es gut klingt. Ich glaube man lernt nie aus. Aber das macht es so reizvoll und es macht Spaß zu hören, wie die Stimmer immer besser wird.

  • Gerüchten zufolge hast du es gar nicht so sehr mit der Metal- und Darkszene. Ist es für dich nicht manchmal ein wenig befremdlich, vorsichtig formuliert „Texte der etwas anderen Art“ zu singen, und mit dieser bei Zeiten auch etwas abseitigen Fankultur in Kontakt zu kommen?

Aysel: Ja das stimmt, ich bin nicht aus der Szene. Ich finde unsere Texte aber sehr schön, gar nicht so anders. Ich habe keine Berührungsängste mit Menschen die aus der Gesellschaft hervorstechen, weil sie anders aussehen. Auch ich grenze mich sehr gerne ab, indem ich mich bewusst auffallend kleide. Ihr seht, ich bin gar nicht so anders wie ihr. Nur schwarz ist nicht meine Lieblingsfarbe. Ich liebe es bunt. Als wir mal ein Konzert auf einer Metal-Veranstaltung gegeben haben, fand ich die Kleidung der Künstler sehr krass. Aber das stört mich nicht, im Gegenteil. Mich inspiriert das. Ich mag kein Mainstream, vor allem nicht musikalisch. Das Leben wäre langweilig bei Einseitigkeit. Ich freue mich über vielfältige Kontakte.

  • Johanna, obwohl man dich wohl ohne Übertreibungen als vielversprechendes gesangliches Nachwuchstalent bezeichnen darf, singst du bisher noch nicht solitär. Wie geht man damit um, „nur“ die zweite Stimme zu sein?

Johanna: Naja, was heißt „nur“? Ich kann an einem spannenden Projekt wie Adversus mitarbeiten und sammle dabei viele neue Erfahrungen, denn sowohl die Arbeit mit einer Band als auch Rosendorns Arbeitsstil sind teilweise echte Herausforderungen (lacht). Außerdem macht das Ganze auch noch wirklich Spaß – langweiliges Hintergrundsingen ist etwas anderes. Abgesehen davon singe ich seit ich ein Kind war in verschiedenen Chören, mir bereitet gerade das Zusammenspiel mehrerer Stimmen große Freude. Mit Aysels Stimme und den übrigen Instrumenten den in meinen Ohren einzigartigen Gesamtklang von Adversus mit zu formen ist mir wichtiger, als mich auf Gedeih und Verderben zu profilieren. Aber wer weiß, vielleicht gibt es ja in Zukunft das ein oder andere Stück, bei dem ich größere Gesangsanteile habe. Ich bin selbst gespannt, wo die Reise hingeht.

  • Im Video zu „Ein Ding im Spiegel“ warst du das erste Mal offiziell für die Fans zu hören. Schildere uns doch ein paar Eindrücke von den Dreharbeiten!

Johanna: Oje, der Dreh war so voller Eindrücke, das wird schwierig. Ich habe die Dreharbeiten hauptsächlich als sehr intensiv, konzentriert und auch inspirierend erlebt. Wir haben ungefähr 10 Stunden nonstop gedreht, aber weil alle Beteiligten voll bei der Sache waren, hat man die Anstrengung kaum gemerkt. Dafür ist eine unglaubliche Atmosphäre entstanden, was zu nicht geringem Teil am Drehort lag. Das Zeughaus in Leipzig bot mit seinen Räumen voll Gerümpel, sonderbaren Objekten und der über allem liegenden leicht gruseligen Grundstimmung die perfekte Kulisse für unser Video. Wenn man so allein durch die dunklen Gänge gegangen ist, hatte man manchmal das Gefühl, dass wirklich Dinge aus den Spiegeln schauen (lacht). Den größten Aha- Effekt hat bei mir aber dann das fertige Video ausgelöst. Die Verwandlung vom Rohmaterial zum fertigen Clip ist erstaunlich. Zu sehen, was alles möglich ist, wenn man mit viel Liebe zum Detail und Fleiß ans Werk geht, hat mir richtig Lust auf mehr gemacht. Ich würde sofort wieder ein Video mit Adversus drehen!

  • Thomas, deine anderen Bandprojekte lassen nicht unbedingt auf einen Metaldrummer schließen, du scheinst ursprünglich eher aus der Progressive Rock -Ecke zu kommen. Dennoch ist das Drumming, das wir nun auf „Der Zeit abhanden“ zu hören bekommen, äußerst vertrackt und druckvoll. Steckt in dir nicht vielleicht doch ein heimlicher Darkmetaller?

Thomas: Wer weiß? Ich mag vertrackte Rhythmen und Power dürfen sie auch haben. Diese Kriterien gelten für sehr viele Musikrichtungen. Schubladen mag ich nicht so sehr, es muss mir gefallen, dann kann ich auch was Schönes dazu trommeln.

  • War die Umstellung auf adversianische Musikmuster schwierig und ist es nicht manchmal verwirrend, parallel zu all diesen Synths und Drumsounds zu spielen?

Thomas: Nein, nach einer Eingewöhnungsphase fühlt sich das ganz natürlich an. Ich spiele mehrere Projekte, die Backing-Files oder einen Klick benutzen, z.B. Secret World.

  • Rosendorn hat mir erzählt, dass du dich insbesondere für behinderte Menschen stark machst. Interessant, wie darf man sich das vorstellen?

Thomas: Ich spiele in einer integrativen Rockband namens Satisfactory, die die jeweiligen Stärken der Members fördert und entwickelt. Ich habe auch beruflich mit behinderten Menschen gearbeitet. Für mich ist der Kontakt mit diesen nichts ungewöhnliches, jeder Mensch hat seinen Kommunikations-Code, den man lernen muss, wenn man sich austauschen will. Das ist bei geistig Behinderten auch nicht anders, manchmal nur kniffliger.

  • Auf Anhieb und offensichtlich „ins Ohr springen“ dürfte wohl die neue Härte vieler Lieder; die elektronischen Tendenzen weichen an vielen Stellen Metal-Anleihen oder werden zumindest entsprechend ergänzt – gerade in Abgrenzung zur insgesamt relativ gemäßigten „Laya“. Der geneigte Hörer fragt sich natürlich, ob diese neue epische Breite und nochmals gesteigerte Bombastik, nur eine aktuelle Rückbesinnung auf eigene schwermetallische Wurzeln des Herrn Rosendorn darstellt, oder ob sich die adversianische Fangemeinde nun auch dauerhaft auf ein „Brachial in die Zukunft“ einstellen sollte?“

Rosendorn: Ich habe eine recht harte Zeit hinter mir aus Gründen, die erst Mal wenig mit der CD zu tun haben. Die vergangenen zwei Jahre waren die wohl dunkelsten meines Lebens und ich habe –aus vielerlei Gründen- eine unglaubliche Wut entwickelt. Diese Wut ist noch nicht verraucht, sondern sorgsam im Keller verstaut wo sie keinem Schaden kann, außer vielleicht mir selbst. Dennoch kann sie da nicht ewig bleiben und vor sich hin schwelen, sonst fliegt mir das Haus um die Ohren. Das Konzept zum nächsten Album steht bereits und es verlangt nach Kälte und nach Härte. Einen Rückschritt zu rein elektronischen Neoklassik-Säuseleien kann ich mir also zur Zeit nicht wirklich vorstellen, auch wenn der dunkelromantische Teil immer zu Adversus gehören wird.

  • Auch das „Personalkarussell“ der Band hat sich wieder mal ein Stückchen weiter gedreht; Lestaria hat die Band verlassen, während es mit Johanna neue gesangliche Unterstützung gibt. Außerdem ergänzten vielversprechende Gastmusiker bereits die neue Platte und das Video zu ein „Ein Ding im Spiegel“. Mittlerweile könnte man sich daher durchaus fragen, ob die „Idee Adversus“ nicht von vornherein so konzipiert war und sich die stetig mehr oder minder wechselnde Besetzung „um einen harten Kern“ nicht als eines der durchaus positiven, bereichernden Kennzeichen der Band erweisen könnte (neben den praktisch natürlich schwierigen Aspekten dieser Tatsache).

Rosendorn: In der Musikszene scheint es da zwei Schablonen zu geben: Die einen stilisieren sich als zusammengeschweißte Jungs-Band nach dem Motto „Fünf Freunde sollt ihr sein“, die anderen gruppieren sich devot um irgendeinen egomanischen Star. Adversus liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Natürlich begann es als mein Soloprojekt mit Sängerin und natürlich konzentriert sich ein Großteil der kreativen Arbeit um mich herum. Adversus ist eher eine Art Musikerkollektiv unter meiner Leitung als eine klassische Band. Nichtsdestotrotz sind die anderen Bandmitglieder unverzichtbar. Sie leisten großartige Arbeit und ohne sie wäre die Musik um einiges ärmer. Mit dem Stück „Entropia“ wollte ich meinen Mitmusikern eine Referenz erweisen. Es handelt sich um ein Instrumental, und jeder darf mal zeigen, welche Virtuosität in ihm steckt, ohne dass sich eine Gesangsstimme in den Vordergrund drängelt.

  • Sebastian, als Gitarrist warst du bereits auf der eher ruhigen und folkig angehauchten „Laya“-EP zu hören. Was macht dir mehr Freude: Akustisch-klassische Gitarre oder das harte Metalbrett?

Sebastian: (grinst) Es ist das Gitarrespielen an sich, das ich so unheimlich mag, egal ob elektrisch verstärkt oder akustisch. Die akustischen Gitarrenstimmen auf der „Laya“ sind wundervoll fragil, verspielt und märchenhaft, eben das, was eine akustische Gitarre herausragend transportieren kann. Es geht beim Einsatz der akustischen Gitarren ja auch meist um Herzensangelegenheiten: Liebe oder auf dem neuen Album Minne lassen sich so eben viel besser ausdrücken, als durch hartes Metal-Riffing. Wobei dieses keinesfalls abgewertet werden soll, denn es macht einfach einen unheimlichen Spaß laute, schnelle und brutale Läufe zu Double-Base Gewitter aus dem Instrument zu holen. Wenn die akustische Gitarre romantische Gefühle symbolisiert, dann steht die E-Gitarre ganz klar für eine Art von infantilem Spaß an Lärm, der Schönheit des Chaos und dem Wunsch nach Selbstinszenierung, dazu sind zum Beispiel Soli ja gedacht. Es ist immer dem Gitarristen selbst überlassen, ob er sich zu einer der beiden Seiten eher hingezogen fühlt oder etwas ganz anderes in seinem Instrument sieht, das ihn bestätigt sich auf eben dieses zu beschränken, für mich persönlich ergänzen sich akustische und elektrische Gitarre viel zu gut, als das ich eine Präferenz entwickeln könnte.

  • Wenn man als einzelner Musiker an solch einem Projekt mitarbeitet, bei dem noch viele andere Leute mitmachen und lediglich einer vor allem für das Inhaltliche zuständig ist, hat man da trotzdem einen inneren Bezug zu den Texten, Bildern usw.? Was bedeutet dir Adversus?

Sebastian: Auf jeden Fall hat man einen starken Bezug zu Bildern und Geschichten, denn für mich persönlich geben Gemälde und Erzählungen der Musik den Kontext ohne den die sie sonst nicht vollständig wäre. Mich interessieren stets auch die Hintergründe der Stücke, die ich gerade interpretiere, denn wie sollte man einem Stück Leben einhauchen, das man gar nicht verstehen kann? Zwar besteht Adversus aus vielen einzelnen Musikern und einem Komponisten, doch ist es nicht so, als hätte der einzelne Musiker überhaupt keinen Einfluss auf das fertige Stück. Rosendorn fragt uns oft nach unserer Meinung und stellenweise sind zwar die Töne vorgegeben, die klangliche Ausgestaltung also Betonungen, Anschlagsarten und Tempo jedoch der eigenen Interpretation überlassen.
Daher messe ich persönlich Adversus eine sehr große Bedeutung bei, denn diese Art der Konzeption aus Kunst, Musik und Literatur, gepaart mit großartigen Mitmusikern ist einzigartig.

  • Zu aller erst ließe sich natürlich feststellen „Muss das denn wirklich sein, noch irgend so ein neo-altes Märchenbuchkonzept …? Werden wir denn nie erwachsen ;) !? Gibt es nichts Zeitgemäßes Treffendes?

Rosendorn: In der Tat hat der Anachronismus gerade in der schwarzen- und der Metalszene eine lange und manchmal zweifelhafte Tradition. Da wird die Vergangenheit allzu oft romantisiert, verherrlicht und verdreht und auch oft nicht mehr zwischen Historie und Fantasy unterschieden. Jeder zweite Nietenträger möchte ein wettergegerbter Wickinger, ein vogelfreier Spielmann oder –im Falle der holden Weiblichkeit- eine aufreizende Hexe oder ein verträumtes Burgfräulein sein. Mit solchen Ausgeburten der Folklore hat „Der Zeit abhanden“ nichts zu tun. Sagen und Märchen beruhen auf psychologischen Archetypen, und um die geht es mir. Nehmen wir z.B., den Archetyphus des Kriegers: jeder Mann, egal in welcher Epoche er geboren wird, muss sich der Frage nach seinem eigenen Gewaltpotential und der Verhältnismäßigkeit seiner Anwendung stellen. Früher geschah dies z.B. durch die ritterliche Zucht und das damit verbundene Ideal des allzeit bereiten Kriegers, der keiner Auseinandersetzung aus dem Weg geht. In unserer aufgeklärten Gesellschaft hat sich die Debatte verschoben, nun geht es mal abstrakt um angeblich „gerechte Kriege“ wie den in Afghanistan oder, eher aus der persönlichen Erlebniswelt, um Zivilcourage im Umgang mit U-Bahn-Schlägern. Die Frage nach der Gewalt im Zusammenhang mit Männlichkeitsbildern ist also heute noch genauso aktuell wie vor 500 Jahren. Wenn also der Held meiner Geschichte in „Brüder“ durch eine traumepisodenhafte Zeitreise in beiden Epochen Gewalterfahrungen sammelt und mit seinem kriegerischen Alter Ego konfrontiert wird (welches allerdings genauso viel Angst hat wie er selbst), dann ist dies eine hochmoderne Metapher, denn es geht, platt gesagt: um uns zu allen Zeiten und in allen möglichen Welten. Übrigens spielt ein Großteil meiner Märchen in der Hier- und-jetzt-Zeit!

  • Warum hast Du also ausgerechnet durchgängig die Form „märchenhafter“ Kurzgeschichten gewählt? Inwieweit kommt diese literarische Ausdrucksform deinen Intentionen entgegen?

Rosendorn: Das phantastische Genre gibt mir große Freiheiten in der Konstruktion einer Geschichte. Man ist nicht gezwungen, die psychologischen Prozesse innerhalb einer Figur nur anhand ihrer Taten oder gar durch wörtliche Rede zu modellieren. In der Phantastik, im Zwischenreich von Traum und Realität, kann alles, was geschieht, eine Metapher sein.

  • Gibt es irgendwelche literarischen Vorbilder und/oder Inspirationsquellen, die dich auf eben diese Idee der Umsetzung gebracht haben?

Rosendorn: Ich könnte jetzt ein bisschen Bildungsprotzertum veranstalten und mit allerhand Beispielen von Eichendorff bis Murakami um mich werfen, aber das lassen wir mal lieber. Ans Herz legen möchte ich gerade den jüngeren Lesern jedoch unbedingt China Mieville, der mit seiner „Wierd Fantasy“ einem ausgelutschten Genre zu neuen literarischen Höhen verhilft. Gerade seine Kurzgeschichten sind unheimlich packend und trotz des Fantasy-Einschlags von überraschender Tiefe.

  • Inhaltlich werden weite Felder abgegrast: Wir finden uns wieder in mittelalterlichen Klöstern, zwischen Figuren der griechischen Mythologie, lauschen der Geschichte Untoter verschiedenster Jahrhunderte und betrachten heutige und zukünftige Welten, in denen die Auswirkungen seltsamer Phänomene selbst vor dem scheinbar unverbrüchlichen Lauf der Zeit nicht haltmachen. Erhalten wir hier auch einen exklusiven Einblick in dein heimatliches Büchersortiment oder wie kommt diese Vielfalt sonst zu Stande?

Rosendorn: Ich komme leider viel zu selten zum Lesen. Viel zu selten bedeutet bei mir: Nicht mehr als eine Stunde pro Tag, grundsätzlich auf dem Weg zur und von der Arbeit (Ein Wunder, dass ich nicht längst auf einem Zebrastreifen überfahren wurde!) und abends vor dem Einschlafen. Ich lese fast alles, ob Belletristik oder Sachbuch. Beispiele herauszupicken scheint mir unmöglich.

  • Kannst du dir vorstellen dem Renaissance-Menschen Rosendorn dauerhaft eine weitere Facette als Schriftsteller hinzufügen und die Adversianer auch zukünftig mit weiteren ergänzenden oder solitären Buchprojekten zu erfreuen?

Rosendorn: Da möchte ich mich nicht unter Druck setzen, wir werden sehen. Natürlich ist mit Der Zeit abhanden die Messlatte wieder ein Stück höher angesetzt und ich befürchte, wenn den Leuten das Buch gefällt, wollen sie zur nächsten CD wieder eines. Aber vielleicht gibt es ja auch weitere Ausdrucksformen, die sich mit der Musik fusionieren lassen.

  • Ein Gesamtwerk aus einer vollständigen LP und einem dazugehörigen Buch zu erschaffen, hört sich nicht nur nach einer künstlerischen Herausforderung, sondern auch einem recht abenteuerlichen Unterfangen bezüglich des Entstehungsprozesses an. Wie kam es zu dieser Idee und welche Klippen galt es da zu umschiffen, bis du schließlich das fertige Endprodukt in den Händen halten konntest? Lass uns an deinem „Schaffens- und Leidensweg“ Anteil nehmen ;) !

Rosendorn: Ohje, das klingt so pathetisch! Aber die Frage ist insofern spannend, weil die Entstehungsgeschichte keineswegs abenteuerlich war, sondern das Projekt von Anfang an am Reisbrett in der sich nun präsentierenden Form durchgeplant wurde. Ich hatte bereits vor einigen Jahren Kurzgeschichten geschrieben, diese jedoch nur online veröffentlicht. Einmal konsequent alle diesbezüglichen Ideen umzusetzen, ein Buch zu schreiben und als Schriftsteller zu reüssieren, war durchaus ein kleiner, eitler Traum von mir. Der andere Ausschlaggebende Punkt war, dass ein Buch weitaus mehr Platz bietet, Songtexte und Illustrationen zu präsentieren. Also fasste ich den Plan, zwei Hände voll Geschichten zu schreiben, dazu die passenden Lieder zu komponieren, die Songlyrik dazu zu dichten und das ganze Schlussendlich mit Illustrationen zu versehen. Die Illustrationen, gemalt mit Pastellkreide, sind im Original übrigens nicht gerade klein, etwa DIN-A 2. Ich hatte eine kleine Ausstellung und habe die meisten davon inzwischen verkauft, was deutlich einträglicher war als die Musik. Seltsam, oder?

  • Carsten, deine Profession als „Bassmeister“ ist unbestritten und wer verdiente wohl diesen Titel mehr als du, > Dankeschön! (lacht) < zumal du ja auch noch an diversen anderen Musikprojekten arbeitest und obendrein auch als Berufsmusiker dein Geld verdienst. Wie darf man sich denn den Berufsalltag eines Solchen vorstellen?

 Bassmeister: Sehr vielseitig. Ich habe eine halbe Stelle im Philharmonischen Orchester. Dort spiele ich klassische Musik, in dieser Woche zum Beispiel die Neunte Sinfonie von Beethoven. Vorn steht der Generalmusikdirektor und dirigiert. Da bleibt wenig Freiraum für Eigenes. Dennoch macht es viel Freude, Teil eines so großen Klangkörpers zu sein. Im Alltag ist dann so, dass meistens vormittags um zehn Probe ist, bis eins und dann nachmittags oder abends noch einmal. Oder ich sitz im Orchestergraben und spiele Oper oder Konzerte natürlich. Außerdem spiele ich freiberuflich Barockmusik, eine meiner großen Leidenschaften. Damit reise ich oft durch Europa und lerne eine Menge Leute kennen. Und das geht dann eher projektweise. Man trifft sich in einem Konzertsaal oder einer Kirche für zwei bis drei Tage und probt und am Ende steht dann eine Aufführung, manchmal auch zwei. Ab und zu zieht sich so ein Ensemble auch eine Woche in ein idyllisches Dorf zurück und nimmt dort eine CD auf. Das sind dann ganz besondere Tage.

  • Was sagen deine Orchester-Kollegen zu Adversus?

Bassmeister: Einige reagieren befremdet. Viele sind aber eher neugierig und fragen mich dann aus. Manchmal habe ich die Musik auch im Auto an und wenn wir in Fahrgemeinschaft fahren, kommen wir dann ins Gespräch. Eine Geigerin hatte auch schon mal Tränen in den Augen.

  • Augenscheinlich hast du dir eines der größtmöglichen Instrumente herausgesucht ;) – wie händelt man solch ein „Monster“, das ja sicher auch sein Gewicht hat!?

Bassmeister: Ach, gegen den Kollegen vom Schlagzeug habe ich es doch vergleichsweise leicht. …und kommt mir jetzt bitte nicht mit dem Spruch, ich hätte Flöte lernen sollen, dafür gibt es doch schon die bezaubernde Pia! Der Kontrabass ist einfach MEIN Instrument und soo schwer ist er nun auch wieder nicht. (ohne Hülle wiegt er 12 Kilo) Außerdem macht er auf der Bühne was her und ist klanglich überraschend flexibel. Das denkt man einfach nicht von solch einem „Riesen“. Cello kann jeder (lacht). Und übrigens: früher hatte ich den Bass auch im Trabant mit. In Bus und Bahn gibt es manchmal Probleme, die sich aber mit etwas Freundlichkeit und Aufeinander-zugehen meistens lösen lassen. Natürlich muss man sich manchmal „nette“ Sprüche anhören. Der beste: „…schau mal, jetzt bringt der Gruftie schon seinen Sarg mit in die Bahn!“

  • Bleibt neben deinem mannigfaltigen musikalischen Engagement überhaupt noch Zeit für andere Dinge?

Bassmeister: Das ist der große Balanceakt des Lebens. Eine echte Herausforderung. Und mit der Zeit bekomme ich immer mehr Übung darin. Klar, es gibt Zeiten, da schlagen einem die Wellen über dem Kopf zusammen und dann möchte ich manchmal alles hinschmeißen, nur noch brav meinen Orchesterjob machen und gut is. Aber meistens reicht ein richtig gutes Konzert und der Antrieb ist wieder da. Ja, es gibt auch noch Zeit für ein Leben außerhalb der Bühne.

  • Nun stellt die Neuerscheinung „Der Zeit abhanden“ eine für Adversus ungewohnte Art von Konzeptalbum dar: Der Zusammenhang der einzelnen Geschichten und Lieder ergibt sich vor allem aus der formalen Vereinigung in einer Märchensammlung. Gibt es dennoch nennenswerte inhaltliche Gemeinsamkeiten und welche sind dies?

Rosendorn: Ja, die gibt es, wenn auch eher dezent. Die Protagonisten fast aller Geschichten haben die Gemeinsamkeit, dass ihr Leben in der jeweiligen Geschichte durch ein Ereignis oder eine Begegnung komplett aus den Fugen gerät und sie dazu gezwungen sind, ihre bisherige Existenz zu hinterfragen. Diese Brüche sind entweder traumatisch oder kathartisch… aber immer extrem. Eine andere Gemeinsamkeit der Geschichten ist, dass ihn ihnen Zeit eine große Rolle spielt, darauf verweist ja auch der Titel. Wie nehmen die Protagonisten die Zeit war, was macht diese mit ihnen und wann wird die Wahrnehmung der Zeit zu einem subjektiv zeitlosen Phänomen? Und zu guter Letzt handelt es sich einfach auch um eine Sammlung nachdenklicher, seltsamer, manchmal trauriger und oft auch schauriger Geschichten, die alle ein ähnliches Grundgefühl von Verloren-sein miteinander teilen.

  • Das Bundle aus CD und Buch eröffnet den Konsumenten nicht nur eine medial erweiterte Vielfalt, auch die lyrischen Aussagen der einzelnen Tracks sind nicht immer zwangsläufig deckungsgleich mit den dazugehörigen Geschichten. Was bezweckst du mit diesem Zwei- bzw. (wie im Fall von „Ein Ding im Spiegel“ durch den dritten Plot des Videos) Drei-Klang an Aussagepotential?

Rosendorn: Meine Arbeitsweise bestand darin, immer zuerst die Geschichte zu schreiben, denn dann hatte ich ausreichend „Basismetarial“ im Kopf. Als nächstes habe ich mir überlegt, wie so eine Geschichte denn klingen könnte und einen passenden Song arrangiert. Als Drittes folgte der Songtext und zum Schluss malte ich ein Bild. Dies widerholte ich dann auf mehr oder weniger gleiche Weise elf Mal. Meiner Meinung nach ist Kunst eine Form der Kommunikation, und Kunstformen sind wie verschiedene Sprachen, von denen jede einzelne ihren eigenen Duktus, ihre eigene Poesie besitzt. Es hat mich gereizt eine Geschichte in vier verschiedene Sprachen zu übersetzen. Wie „klingt“ das Haar eines Grablichtmädchens? Wie „reimt“ sich ihr Gitarrenriff, und wie „ließt“ sich der Glanz seiner Haut? Es wäre langweilig gewesen, eine exakte Übersetzung zu liefern, stattdessen habe ich die verschiedenen Medien dazu benutzt, eine jeweils andere Perspektive auf das Thema zu zeigen. Oft scheinen Lyrik oder Illustration nicht exakt zu „ihren“ Geschichten zu passen, aber dann sollte man eben noch einmal genauer hinschauen und versuchen, die Sache aus einem anderen Blockwinkel zu betrachten.

  • Stellt sich das Komponieren von Musik, das Verfassen von Lyrik und Prosa für dich als eine eher rational oder eher emotional gesteuerte Tätigkeit dar?

Rosendorn: Natürlich sowohl als auch. Jeder, der Kunst macht weiß, dass das auch von „Können“ und nicht von „Wollen“ kommt, denn sonst würde es „Wunst“ heißen. Und es ist harte Arbeit, vor allem wenn man versucht, so viele Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten. Andererseits muss man aus dem Inneren schöpfen und fühlen, was richtig ist, denn erstens hat man sonst keine Ideen und zweitens wird es dann seelenlos.

  • Pia, auch du hattest im Video deinen ersten Auftritt im Bandkontext. Was waren deine Eindrücke beim Dreh?

piaPia La Musica: Unseren Drehort fand ich sehr bizarr und schräg – sehr passend zur Band. Man konnte sich in dem Gebäude gar nicht sattsehen an den vielen Kuriositäten, die sich einem da auftaten.
Zudem habe ich mich sehr gefreut, mit welch engagierten Menschen ich in Zukunft Musik machen werde. Ich kannte ja vorher niemanden aus der Band (ausgenommen Rosendorn) und fand es schön mit anzusehen, wie alle ohne zu murren mit angepackt und sich für den Dreh eingesetzt haben.

  • Auch der geschulte Hörer rätselt bei Adversus oftmals, was denn nun gesampelt und was von Musikern direkt aufgenommen wurde. Vielleicht kannst du den Adversianern bei dieser Frage helfen und deine Parts „verraten“?

Pia La Musica: Naja, alles was sich nach einer Querflöte anhört wurde von mir eingespielt.

  • Und wie steht es mit der zukünftigen Entwicklung? Wird man auch über die Einspielungen für dieses Album hinaus bei Adversus von dir hören?

Pia La Musica: Ich denke, nächstes Jahr werden wir on Tour gehen, im Februar ist ja schon ein Leseabend mit Live-Musik geplant, da bin ich natürlich mit von der Partie. Ich kann mir auch vorstellen, bei weiteren Auftritten dabei zu sein.

  • Menschen, die den Herrn Kreator vielleicht ein wenig kennen, mögen vielleicht, zumindest aus der Lyrik des Albums, doch einige Selbstreferenzen und Anspielungen heraushören. Inwieweit ist dies beabsichtigt und wie stehst du allgemein zur Thematik der Selbstoffenbarung des Künstlers in seiner Kunst?

Rosendorn: Niemand, der sowas macht und ehrlich ist, würde autobiografische – oder wenigstens unterbewusst eigene- Einflüsse abstreiten. Wie sollte das denn auch anders sein, denn ich lebe ja nur mein Leben, nicht daß eines anderen- und kenne nur dieses eine. Ich wünsche mir aber, dass die Hörer und Leser Der Zeit abhanden als eigenständiges Werk genießen, ohne in jeder Zeile nach Rosendorn zu suchen.

  • Nachdem er eine Weile quasi „in der Versenkung verschwunden“ war, bekommt die griechische Mythengestalt des Orpheus nun in „Der Zeit abhanden“ wieder angemessen Raum ;) – was fasziniert dich ausgerechnet so an dieser Figur und ihrer Geschichte?

Rosendorn: Du hast aufgepasst, in Katharsis hatte er damals einen ersten einzeiligen Auftritt! Die Sage von Orpheus und Eurydike enthält so ziemlich alles, was einen guten, symbolgeladenen schwarzromantischer Stoff ausmacht: Eine schöne (allerdings sehr tote) Frau, unerschütterliche Liebe, der dunkle Hades, ein schicksalhafter Handel, Persephone als Herrin der Unterwelt und ein nicht sehr erbauliches Ende, das im Suizid endet. Herrlich, was will man mehr? Bei mir nimmt die ganze Sache allerdings einen etwas anderen Lauf, wie der Leser feststellen wird…

  • Ebenfalls eine bekannte Tatsache stellt deine künstlerische Beschäftigung mit mittelalterlichen Thematiken, wie der hohen Minne und dem Schwertkampf dar. Wie passen zwei scheinbar so gegensätzlichen Interessengebiete wie die „klassische Mythologie“ und das „aetas obskura“ zusammen?

Rosendorn: All diese Dinge sind als geistiges Gut sowohl in der Hoch- als auch in der Popkultur fest verankert und somit fürderhin unsterblich. Alles vergangene, was den Menschen bewegt, hat ein Eigenleben und sich dadurch als „Meme“, wie Richard Dawkins sagen würde, in das Kollektivgedächtnis eingebrannt. Somit sind solche Dinge in der Tat „Der Zeit abhanden“.

  • Nun könnte sich der kritische Betrachter und Hörer durchaus fragen, wohin denn all dieser Eskapismus führen soll. Sicherlich benötigen wir alle ab und an die Flucht aus dem schnöden, Alltag, aber wirkt nicht alles umso grauer, wenn man zurückkehrt? Und ist träumen schon genug? Vergisst nicht der Träumende allzu leicht die Tat, die ihm erst dauerhafte Erleichterung verschaffen kann?

Rosendorn: Ich finde das gar nicht. Sieh mal, was ist der Mensch ohne Erinnerung? Stell dir vor, du hättest nur dein Kurzzeitgedächtnis und würdest alles –wirklich alles- sofort wieder vergessen: Wäre das nicht unfassbar beunruhigend, verwirrend und auch öde? Sehen wir mal von den akuten Problemen (Wo bin ich, wo finde ich Alkohol usw.) ab, die sich daraus ergeben würden: Ein guter Scherz wäre nicht lustig, denn du würdest die Begebenheit, auf die er sich bezieht, nicht erinnern. Ein Liebesbrief wäre ohne jede Bedeutung, denn der Absender wäre dir ja unbekannt. Ohne Vergangenheit ist die Gegenwart leer. Und nun addiere dein bisheriges Leben und 4000 Jahre kollektives Wissen und Kultur auf diese Gegenwart: voilà: plötzlich ist die Welt beseelt und voller Bedeutung! Darüber hinaus lässt sich trefflich streiten, ob Der Zeit abhanden wirklich von Eskapismus handelt oder nicht doch eher von einer aktiven Suche.

  • So bleibt abschließend wohl nur zu fragen, wie denn all die der Zeit abhandenen und der Realität für eine Weile entflohenen Adversianer wieder aus dem dunklen, teilweise gar finstren Rosendorn´schen Märchenwald herausfinden sollen? Enthielt der Vorgänger „Laya“ noch die explizite Warnung, nicht einfach so jedem fremden Sukkubus, dem man im Wald begegnet, zu folgen, so gibt es für das vielfach komplexere Neuwerk, keinerlei Gebrauchshinweise … Kann es eine unbeschadete Rückkehr, ein Entkommen geben ;) ?

Rosendorn: Wenn es diesmal eine „Moral von der Geschicht‘ “ gibt, dann die, dass man einfach seinen Weg gehen muss, wenn man nicht von Morbargen kummuliert und Riesenspinnen verspeist werden will. Manchmal hilft auch eine Tasse Zimtkaffee und eine Schale Kekse ein ganzes Stück weiter.
;)

REM: Vielen Dank für eure Offenheit und die interessanten und ausführlichen Auskünfte!