Ein Interview mit Christian Schmitz.

Im März 2021 ist in der Edition Subkultur Christian Schmitz’ zweites Buch mit Taxigeschichten erschienen: „Benzin im Wischwasser“. Mit seinem Debüt „Der Fuchsflüsterer vom Zeltinger Platz“ eroberte unser schreibender Taxifahrer auch die Berliner Lesebühnen. Doch jetzt ist in seinen beiden Leben, sowohl in dem als Taxifahrer als auch in dem als Schreiber und Vorleser, kein Stein mehr auf dem anderen. Laura Alt hat mit ihm über die aktuelle Situation, das bedingungslose Grundeinkommen und über Taxi-Klischees gesprochen.

Wie geht es Dir momentan?
C. S.: Danke, gut. Glücklicherweise hat sich bislang niemand in meiner Familie mit dem Corona-Virus infiziert. Ich hoffe, dass es so bleibt. Und da es mir immer wichtig war, für einen seriösen Taxibetrieb zu fahren, bin ich auch finanziell in diesen schwierigen Zeiten abgesichert. Dennoch bleibt die Unsicherheit, wie es weitergehen soll. Das ist durchaus belastend und zermürbend. Aber ich lasse den Kopf nicht hängen und hoffe und vertraue darauf, dass die Zeiten auch wieder besser werden. 

Und wie ist die Situation ganz generell für Deinen Berufsstand?
C. S.: Leider sehr schlecht. Fahrdienstanbieter wie Uber machen dem Taxigewerbe das Leben schwer. Deren Fahrer brechen Tag für Tag geltendes Recht, die Politik schaut weg und nun soll auch noch das Personenbeförderungsgesetz reformiert werden, um jahrelangen Rechtsbruch zu legalisieren. Und wie es im Fußball so schön heißt: „Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu“, so auch im Taxigewerbe. Denn fürs Taxigeschäft war und ist die Corona-Pandemie verheerend. Die Einnahmen brachen von einem auf den anderen Tag nahezu vollständig weg. Standzeiten an den Taxihalten von sechs, sieben Stunden ohne einen einzigen Fahrgast sind seitdem normal.

Gibt es auch Alternativen zu den fehlenden Touris, also neue Fahrgäste für Taxifahrten?
C.S.: Ja, man versucht es mit Einkaufsservice, Essenslieferung, Kurierdienst, aber das sind alles nur Tropfen auf den heißen Stein. Als die Medien feierten, dass älteren Berliner Herrschaften die Taxifahrt zum Impfzentrum spendiert wird, ging die Verhältnismäßigkeit ein bisschen baden, denn auch diese Fahrten konnten nur ein, zwei, höchstens drei Prozent des Umsatzausfalls ausgleichen. Niemand weiß, wann die Menschen wieder mit dem Taxi zum Arzt- oder Geschäftstermin, Bahnhof oder Flughafen, Konzert, Kino oder Restaurant oder von dort nach Hause fahren werden, dass ein Taxifahrer davon leben kann. Es ist bitter! 

Wie kamst Du eigentlich auf die Idee, aufzuschreiben, was Du so alles im Taxi erlebst?
C. S.: Ich unterhalte mich ausgesprochen gern mit meinen Fahrgästen. Und da habe ich immer wieder zu hören bekommen, dass ich doch ein Buch über die Geschichten im Taxi schreiben könne. So habe ich eines Tages beschlossen, meine Erlebnisse aufzuschreiben und auf Berliner Lesebühnen vorzutragen. Das macht mir unglaublich viel Spaß – wenn es auch zurzeit wegen der Beschränkungen leider nicht möglich ist. Nach meinem ersten Taxibuch war für mich noch lange nicht Schluss – schließlich kamen ständig neue Geschichten hinzu.

„Wenn Du Geschichte studierst, wirst Du Taxifahrerin“, durfte auch ich mir im Studium anhören. Weil Klischees anscheinend nie alt werden: In welcher Stadt gibt es die am besten ausgebildeten Taxifahrer?
C. S.: Ich könnte mir vorstellen, dass Berlin eine der Städte mit der höchsten Akademikerdichte unter Taxifahrern ist. Viele von ihnen dürften nicht mehr die Jüngsten sein – so wie ich. Das mag daran liegen, dass die siebziger und achtziger Jahre in West-Berlin eine recht wilde Zeit waren. Die Studentenproteste der sechziger Jahre hallten nach, es war die Zeit der Hausbesetzungen, nicht wenige suchten damals nach neuen Lebensformen. Und Taxifahren war ein sehr beliebter Studentenjob, mit dem sich gutes Geld verdienen ließ. So sind etliche Akademiker seinerzeit entweder beim Taxifahren geblieben oder nach einigen Jahren aus den verschiedensten beruflichen Gründen wieder zum Taxifahren zurückgekehrt – so wie ich. Und die meisten von uns akademischen Taxifahrern lieben ihren Beruf, auch wenn das Außenstehende oftmals nicht nachvollziehen können. Es ist halt ein Lebensgefühl von Freiheit, von Ungebundenheit, das einem kaum ein anderer Beruf in dieser Art und Weise bieten kann. 

Wenn Du in einem anderen Jahrhundert leben könntest, welches würdest Du Dir aussuchen und wieso? 
C. S.: Es heißt ja immer, dass früher angeblich alles besser gewesen sein soll. Ich wüsste nicht wann! Insofern bin ich als Historiker, der es gewohnt ist, in langfristigen Epochen zu denken, zutiefst davon überzeugt, dass wir – um mit Gottfried Wilhelm Leibniz zu sprechen – in der besten aller möglichen Welten leben. Damit sollen natürlich in keiner Weise die heutigen Übel in der Welt geleugnet oder schöngeredet werden, nicht die Armut, nicht der Hunger, nicht ein Krieg, nicht der Klimawandel. Aber verglichen mit früheren Zeiten verbessert der Mensch seinen Zustand in einem niemals enden wollenden Prozess. Ich kann in diesem Zusammenhang nur die Website https://ourworldindata.org/ empfehlen! Und wenn es uns gelingen sollte, Armut und Hunger zu besiegen, Kriege zu beenden und das Klima zu retten, dann würde ich mich, um die Frage zu beantworten, in eine Zeitmaschine setzen und in die Zukunft katapultieren lassen.

In „Benzin im Wischwasser“ erzählst Du am Rande, dass Du Deine Pausen gern mit Tee und einer Zeitung verbringst. Liest Du diese noch auf Papier und wenn ja, wieso?
C. S.: Ja, in dieser Hinsicht bin ich recht altmodisch. Aber ist es nicht auch allzu erstaunlich, dass – um mit Karl Valentin zu sprechen – jeden Tag genau so viel passiert, wie in die Zeitung hineinpasst? Warum sollte ich da meine Gewohnheiten ändern?

Würdest Du Dich in ein selbstfahrendes Auto setzen?
C. S.: Wenn mich die angesprochene Zeitmaschine im Jahr 3000 absetzt, wird mir wahrscheinlich nichts anderes übrig bleiben. Bis dahin müssen wir aber noch viele Probleme lösen, zum Beispiel das der ethischen Programmierung solcher Fahrzeuge. Da gibt es berechtigte Zweifel, ob sich die damit aufkommenden Fragen einvernehmlich beantworten lassen. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Also, ja, warum nicht? Wenn ich ein alter klappriger Tattergreis sein werde, kann mir Künstliche Intelligenz doch hoffentlich das Leben ein wenig erleichtern, zumal sich diese Entwicklungen nicht aufhalten lassen und es Taxifahrer folglich über kurz oder lang nicht mehr geben wird, so wie es auch keine Droschkenkutscher mehr gibt. 

Du sprichst im Buch Firmen wie Uber an, für die Mietwagenunternehmen Fahrgäste befördern. Erkläre doch mal, warum das den Taxifahrern nicht gefällt.
C. S.: Für die Taxifahrer ist es schlecht, weil die Mietwagenfahrer sich nicht an das Personenbeförderungsgesetz halten. Täten sie dies, könnten sie kein Geld verdienen. Also ist jeder einzelne von ihnen ein Rechtsbrecher. Wer sich zu einem solchen ins Auto setzt, sollte das wissen. Die Politik in Berlin schaut tatenlos zu und lässt sie gewähren. Alle guten Worte von Seiten der Taxiverbände verhallen ungehört. Das ist umso unverständlicher, als dass das Taxigewerbe ein guter, etablierter und bewährter Teil der nötigen Verkehrswende sein könnte. Moderne Taxis, sind nicht Teil des Klimaproblems, sondern könnten Teil der Lösung sein. Aber die Zeichen der Zeit stehen eben auf Liberalisierung.

Was bedeutet das für die Fahrgäste?
C.S.: Kurzfristig mag sich der eine oder andere Fahrgast über einen niedrigeren Fahrpreis im Vergleich zu einer Taxifahrt freuen. Für diesen niedrigeren Fahrpreis muss der Uber-Fahrer aber deutlich längere Schichten fahren als ein Taxifahrer, um auf sein Geld zu kommen. Ich möchte nicht mit jemandem mitfahren, der bereits mehr als zwölf Stunden hinterm Lenkrad sitzt. Langfristig aber werden die Fahrgäste das Nachsehen haben. Denn bei diesen Fahrdienstanbietern gibt es keine Tarifpflicht wie im Taxi. Das Taxigewerbe geht mit der Zeit. Eine Taxibestellung per App beispielsweise ist schon lange kein Problem mehr. Und all die vielen Bestimmungen des Personenbeförderungsgesetztes dienen nicht zuletzt dem Schutze des Fahrgastes! Der wird aber der Dumme sein, wenn am Ende Uber über das Taxigewerbe obsiegen sollte, was ich nicht hoffen will. Denn im Taxi weiß der Fahrgast, dass eine Fahrt von A nach B immer X kostet. Nicht so bei Uber. Dort macht ihm ein Algorithmus den Preis. Der Algorithmus kennt den Fahrgast, der alle Daten freiwillig preisgibt. Er kennt dessen Kontostand und seinen Umgang mit dem lieben Geld. Er weiß, wie häufig er Fahrdienste nutzt, für welche Zwecke, für welche Strecken. Dementsprechend macht er ihm einen Preis. Und so muss dann am Ende die Kellnerin, die sich kein Auto leisten kann oder will, aber Nacht für Nacht nach Hause möchte, wenn weder Busse noch Bahnen fahren, bei Uber einen deutlich höheren Fahrpreis als im Taxi zahlen. Der Algorithmus will es so. 

Bist Du für ein bedingungsloses Grundeinkommen?
C. S.: Noch so eine schwierige Frage! Befürworter und Gegner haben ihre nachvollziehbaren Gründe. Ich staune bei Umfrageergebnissen häufig, wie entschieden sich die Befragten für oder wider A oder B entscheiden. Die Unentschiedenen bewegen sich meist nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Und zu denen zähle ich mich auch in diesem Fall. Ich sympathisiere durchaus mit Initiativen wie https://www.mein-grundeinkommen.de/ des gemeinnützigen Vereins Mein Grundeinkommen e. V. oder https://www.pilotprojekt-grundeinkommen.de/ des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Denn die Idee dahinter ist ja gut. Also warten wir ab, was die Studien und Feldversuche uns nach Auswertung ihrer Ergebnisse zu sagen haben.

Benzin im Wischwasser - Grünes Bobby Car am Taxistand

Du erzählst in Deinen Büchern von besonders lustigen, absurden oder auch gefährlichen Situationen in Deinem Taxifahreralltag. Gibt es eine, die Du als das größte Highlight ausmachen könntest?
C. S.: Überfallen oder gar mit dem Tod bedroht zu werden, ist schon ziemlich krass. Einem Finnen beim Autokauf behilflich zu sein, einer Chinesin die Haut zu retten oder mit Russen zu lachen, dass die Scheiben der Taxe anfangen zu klirren, ist da schon besser… Aber nein, die eine besonders besondere Geschichte gibt es nicht. Dafür passieren einfach zu viele verschiedene Sachen. Taxifahren ist das Leben in seiner ganzen Vielfalt und Buntheit.

Was machst Du am liebsten, wenn Du nicht im Auto sitzt?
C. S.: Ich bin jetzt bald vierzig Jahre glücklich verheiratet. Da mache ich gerne mit meiner Frau so Sachen, die alte Ehepaare gerne machen – Kaffee trinken und so. 

Vielen Dank für das Interview.