von Kristjan Knall.

Weil Bestsellerlisten mein sozialistischer Marschbefehl sind und gegen Lockdown-Depression nur Konfrontationstherapie hilft, las ich „Allegro Pastell“. Der Titel ist akademisch für „Nichts Halbes und nichts Ganzes“. Es ist eine erhellende, genüsslich frustrierende, sich tot schleppende Saga über das, was nach dem Hipster kommt. (Spoiler: Es wird nicht besser.) Der Trick des Autors ist, dass die Figuren nicht nur, wie der Berliner sagt, „jewollt aber nich jekonnt“ agieren, sondern nicht mehr wollen.
Ein Houellebecq für Schüchterne.


Mikis Wesensbitter "Wir hatten ja nüscht im Osten ..."Das Zentralkomitee für interstellare Zufallsorganisation übererfüllte wie immer den Plan, als sie mich danach durch subtile Steuerung „Wir hatten ja nüscht im Osten … nich‘ ma Spaß!“ lesen ließen. Zu sagen, diese beiden Bücher wären kein Kontrast, wäre, wie zu sagen, das Mittelalter ist wie TikTok. Mikis Wesensbitter meidet in seinem Memoir der Zeit als Ostpunk kurz vor bis kurz nach der Wende solche hochtrabenden Wörter wie die Pest. Es ist eine schonungslos schnörkellose Beschreibung einer Jugend in einer greisen Zeit. Außerdem wäre er zu beschäftigt mit kotzen, vögeln und auf-die-Fresse-hauen. Das ist nicht immer clever, besonders wenn es um den BFC oder Eisern Union geht. Es ist nicht immer lecker, besonders wenn in grässlichstem 80er-Jargon gefühlt werden soll, wie feucht die „Flansch“ ist (was es selbst ihm versaut). Es ist nicht immer woke, besonders wenn man den Eindruck hat, der Protagonist braucht nur eine Frau anzusehen, damit sie sich auszieht und in sein Bett springt. Es ist nicht immer vegan, genau genommen nie, wenn wie manisch und vielleicht als ironischer Kommentar das Fleischmassaker beschrieben wird, dass alle sich unentwegt in trostlosen Mitropas in die Fresse drücken. Aber es ist immer echt, immer 100 %, immer exakt das Gegenteil vom universell halbarschigen Post-Hipstertum Allegro Pastells.

Eine schonungslos schnörkellose Beschreibung einer Jugend in einer greisen Zeit.

Zwei Perspektiven haben mich besonders mitgenommen: die absurde Komik des sterbenden Systems in Kombination mit dem allgegenwärtigen Verfall. Es gibt im Buch unschlagbare Momente, wie auf der Arbeit in einem Kombinat, das an Asterix‘ Haus, das Verrückte macht, erinnert. Es funktioniert absolut nichts, alle saufen und schmeißen sich Wunderpillen in Atomwaffenstärke ein, die Ordnung degradiert in eine präzivilisatorische Tauschgesellschaft. Gleichzeitig ist Ostberlin verregnet grau, „giftig“, und durchsetzt von einer Stasi, die genau auf der Messerschneide zwischen Grausamkeit und unfreiwilliger Komik sichtbarer wird. Die er mit Parallelgeschichten verwirrt, bis sie sich verlieren. Was die Erzählung wirklich stark macht, ist die Zeit nach dem Mauerfall. Dort, wo die Geschichte für den „widerlichen Kohlschreier“ aufhört, fängt die Bewusstwerdung des Punks richtig an.

Punk heißt erst mal „Nein!“. Nein zur Stasi, zum System, zum Bücken. Nachdenken können Jahrzehnte später intellektuell impotente Kritiker.

Als Ex-Punk der später Geborenen feiere ich den gnadenlosen Willen zum „Fick dich“ ab. Aber es ist für mich unvorstellbar, jeden zweiten Tag für die Frisur von so vielen Nazis auf die Fresse zu bekommen. Dass man wirklich so viel und so leicht gevögelt haben soll. Dass es so richtig war, einfach alle zu hassen, weil wirklich alle schlecht waren. Als Punk war der Osten viel härter, aber, so scheint es, auf paradoxe Weise echter als in den 90ern nach dem Ende der Geschichte. Es gibt eine merkwürdige Leichtigkeit in der Schwere, wenn jeden Abend gesoffen werden kann, Fleisch noch kein Thema ist und die Punkbands sich gefühlt bei einem anstellen, sodass man Blixa Bargeld nur als „peinlichen Typen in Lederhose“ abstempeln kann.
Klar, der Protagonist kommt einem manchmal überheblich vor. Jede Schlägerei wird gewonnen, jede „Torte“ liegt ihm zu Füßen, er weiß es besser. Aber vielleicht ist genau das die jugendliche Überheblichkeit, die man braucht, um gegen ein Schweinesystem durchzuhalten. Am echtesten fühlt er sich an, wenn er verliert. Frauen, die sich in den Westen verabschieden.
Als Bonus gibt es Startup-Ideen wie Pornofotohandel und Tipps zur Business Communication über das Medium Schnaps. Klar hätte man sich an einigen Stellen tiefere Reflexionen über das Wieso, Warum und überhaupt gewünscht. Aber auch das ist die pure Absage an die Theorie. Punk heißt erst mal „Nein!“. Nein zur Stasi, zum System, zum Bücken. Nachdenken können Jahrzehnte später intellektuell impotente Kritiker. Die wahrscheinlich nur neidisch sind, nicht in so einer geil abgefuckten Zeit gelebt zu haben.