oder: Wie ich in Casablanca den Boden unter den Füßen verlor, meine Reiselust wiederfand, aber trotzdem nicht zum Schreiben kam.

von Philipp Baar.

Tanger, Marokko: Ich hocke auf dem Balkon meines Hotelzimmers. Unter mir liegt der Platz, auf dem William S. Burroughs sich früher Opium und Knabenärsche besorgt hat. Ich gehe es seriöser an, sitze am Laptop, versuche zu schreiben, zu arbeiten. Durch die geöffnete Balkontür weht helles Frauengelächter zu mir heraus. Ich drehe mich um und sehe zwei Marokkanerinnen auf dem Bett, ein weiterer sitzt am Schreibtisch, einen Teller mit Kokain vor sich, daneben liegt mein Lonely Planet, auf dem ein Mann vor seiner Schafherde abgebildet ist, mit einem Lamm auf dem Arm.
Und was schreibe ich nun über Marokko? Wie ich durch die Basare der Königsstätte gestreift bin? Wie ich durch die Cannabisfelder im Rif-Gebirge gewandert bin? Wie ich am selben Tag die Sonne über der Wüste aufgehen und im Atlantik versinken sah? Und warum ich trotzdem die ganze Zeit schlecht drauf war?

Casablanca, drei Tage zuvor: Ich hatte den Blues, schon seit geraumer Zeit. Reisen machte keinen Spaß mehr, das kannte ich von mir eigentlich nicht. War ich zu viel unterwegs? Die nächste Medina, die nächste Moschee und am Abend wartet ein muffiges Zimmer auf dich. Ich war seit über drei Monaten unterwegs und das Leben auf der Straße ging mir auf die Nerven. Alles ging mir auf die Nerven.
Mir gingen die Touristen auf die Nerven, mir gingen die „Traveller“ auf die Nerven, die am Ende auch nur Touristen sind (dein Urlaub ist nicht besser, weil er weniger Geld kostet und du keinen Koffer, sondern einen Rucksack trägst). Mir gingen die Hippies auf die Nerven, mir gingen die Expats auf die Nerven. Mir ging Nordafrika auf die Nerven: der Müll, die Autos, die Alkoholpreise.
Und ich hatte Heimweh. Zum ersten Mal in meinem Leben. Das war es also, dieses Gefühl, nach Hause zu wollen. Wenn dir die Fremde schwer auf der Seele liegt. Oder vielleicht lag es mir auch im Magen, was weiß ich, aber das ist nicht der Punkt, denn ich war schon oft krank auf Reisen und es hat mich nie gestört, nein, das hier war anders, ich war einfach nicht in Form. Der Reisemodus kickstartete nicht.
Oder lag es an der Stadt? Casablanca ist ein Moloch, aber das wusste ich vorher. Trotzdem liebte ich die Marokkaner mal, nun gingen mir (nicht alle, aber) eine Menge einfach nur auf den Sack. Dasselbe galt für den Schmutz, den Verkehr, die Streuner, die Gefahren – was mir früher authentisch-afrikanisch-poetisch-romantisch vorkam, wurde einfach nur noch anstrengend.
Ich trat ans Fenster und hörte der überfüllten Straße zu. Vielleicht sollte ich ausgehen, diese Straße entlang, um die nächste Ecke und weiter, weiter, bis ich es wiederfände, das Schöne, das Magische, das Abenteuer des Reisens. Such dir eine Bar, triff ein paar Einheimische, finde einen Drogendealer, lass dich ein bisschen bescheißen. Früher hat dir so was doch Spaß gemacht.
Und in Casablanca hatte sich seit meinem letzten Besuch vor fast zehn Jahren ein Menge getan. Das Nachtleben brummt hier wie in nur wenigen afrikanischen Städten, daher raffte ich mich auf und rief meinen Freund Mohammed an.

Er kam mich abholen, wir fuhren nach Downtown, und gingen in diese Bar oder vielleicht war es auch ein Club, das lässt sich in Marokko oft nicht so genau sagen. Hier wurde zwar nicht getanzt, die Musik war aber trotzdem ohrenbetäubend laut und es blitzlichtete.
Ich folgte Mohammed in den Raum, blinzelte etwas, an der Theke saßen ein Mann und eine Frau, die wir treffen wollten. Ein guter Freund von ihm und dessen Freundin, hatte er mir vorher erklärt. Mohammed stellte mich vor, ich schüttelte die Hand des Mannes und lächelte, „Salam aleikum“, drehte mich zu ihr um – und die Welt um mich herum stürzte mal kurz ein. Einfach so, in einem Sekundenbruchteil war alles weg. Mohammed, die Bar, die Leute, diese wilde Stadt drumherum zerfielen einfach zu Staub, da war nur noch sie.
Sie sagte irgendwas, wahrscheinlich ihren Namen, aber das ging bei mir unter. Was war da eben passiert? Sicher, ich hatte schon ein paar Bier intus, aber daran lag es nicht. War sie eine Voodoo-Priesterin oder sowas? Während die drei sich zu unterhalten begannen, steckte ich mir eine Kippe an, nahm drei Züge und sah sie nochmal an. Mit demselben Ergebnis: Sie schaute auf, grinste und wieder krachte alles alles zusammen. Das wurde langsam gefährlich und wäre ich ein schlauer Mann, hätte ich mich in diesem Moment umgedreht und wäre gegangen. Bin ich aber nicht, denn plötzlich machte das Reisen wieder Freude, plötzlich gefiel mir diese Stadt, plötzlich waren die Marokkaner wieder herzlich, offen und gastfreundlich, plötzlich konnte ich wieder Geschichten erzählen. Aus Indien zum Beispiel, was sie zum Lachen brachte und ich wusste, dass ich nun auch würde schreiben können.

Und das am besten in Tanger, wie schon so viele vor mir. Und die Muse musste mit, also lud ich die ganze Truppe auf einen Ausflug ein und da sitzen wir nun, meine marokkanischen Freunde im Zimmer, ich auf dem Balkon mit dem Laptop vor mir, aber meine Energie wird gerade nicht für das weiße Blatt benötigt.
Ich drehe mich zu der kleinen Party im Raum hinter mir um: „Könnte ich vielleicht etwas verdammte Ruhe haben? Ich muss hier wirklich was arbeiten.“
„Hältst du dich jetzt für Burroughs oder was?“
„Das hat mit Burroughs überhaupt nichts zu tun.“
Sie fliegt vom Bett auf den Balkon, hält mir den Teller unter die Nase und grinst.
„Danke.“
Laptop zu.