Let’s talk about Jugendkultur. Was ist das eigentlich? Ein bisschen Rebellion, ein bisschen Revolution, ein bisschen Innovation. Sex, Drugs & Rock´n´Roll. Wobei jede Generation etwas anders darunter versteht: Die Drogen ändern sich, die Musik ändert sich und auch die Gründe ändern sich, weshalb wir das mit dem Sex nie auf die Reihe bekommen. Wenn man als volljähriger Student gleich welchen Geschlechts einen anderen volljährigen Studenten gleich welchen Geschlechts nur noch mit einer App und einem Anwalt ins Bett bekommt, dann hat das schon was von meinen „Willst Du mit mir gehen, ja, nein, vielleicht“– Briefchen … 1980, … als ich Zwölf war. Doch wir schweifen ab.

Aus Nietenarmband und Stromgitarrenmusik wurden also knöchelfreie Socken und Poetry Slam. Beides ist, bis auf ein paar wirklich grandiose Ausnahmen, gleichermaßen lächerlich und auch vollkommen OK. Nur muss man kein Prophet sein, um zu wissen, dass sich die modernen Interpretationen von Sex, Drugs & Rock´n´Roll, also Bachelor, Ritalin & Game Of Thrones oder Wichsen, Zocken & Spotify nicht ganz so lange halten werden. Aber auch das ist OK. Ich muss Tindern, den Rap, der sich nicht reimt, und die Verbindung zwischen #YOLO und den Kauf einer Apple-Watch nicht verstehen.

Was mir fehlt, Baby, sind die echten Skandale, die Erdbeben, das nachhalltig Von-den-Sitzen-reißen. (Wobei mein NACHHALLTIG mit zwei L geschrieben wird.) Kein methanfreier Furz, sondern etwas, das vibriert, schwingt, die Konsumenten wieder zu Menschen macht, sie mitreißt, aufstehen und stehenbleiben lässt. Das von den Socken sein, egal ob die nun knöchelfrei sind oder nicht.

Die großen Alten rocken die Bühnen dieser Welt. Und auch, wenn die Dinosaurier beinahe flehend ihren Jüngern sagen, sie sollen dem alten Scheiß endlich abschwören und die coolen neuen Bands hören, so ist der ausrottende Komet in Wahrheit nur ein riesiger Heißluftballon, der auf die Abschieds-Stadion-Tourneen von Kiss und Rammstein hinweist. Darüber hinaus gibt es nichts zu verkünden, was Menschen in vergleichbarer Weise prägen könnte, wie beispielsweise ein Metalalbum es vor der Jahrtausendwende vermochte.

Party ist inzwischen so alterslos … Karaoke mit Kopfhörern, Tischtanzgruppenausflüge an den Kletterstangen auf den Spielplätzen, ein „Atemlos durch die Nacht“ für die ganze kaputte Familie … ein peinliches „Put Your Hemds in the Air“. Kalenderspruchrhymes für die outgeburnten Alleinverziehenden volkswirtschaftspolitikverdrossenheitstudierenden Geschlechtslosen.  Spider Murphy Gang vor dem Brandenburger Tor live – vor einer Million Idioten.
Und immer ein krampfhaftes Entspannen vom Krieg der Welten, egal ob wir nun bekittelt hinter Skannerkassen, beanzugt hinter Schreibtischen oder beuniformt in irgendwelchen Hightechcontainern auf die Knöpfe drücken, um uns für ein bisschen Seele die Kreditkarten wieder aufzuladen.

Blicken wir nach vorn. Brauchen wir wirklich keine neuen Rockstars mehr, keine neuen Rebellen, keine Helden, seien es nun lyrische Jammerlappen oder die mit den großen, arroganten, exzentrische Gesten? Brauchen wir wirklich keine Extravaganzen mehr, die uns von den Unanderen unterscheiden, die uns mit den anderen Anderen zusammenschweißen und so zu einer Bewegung machen? Brauchen wir wirklich keine gebrochenen Lebensläufe, was ja so herrlich doppeldeutig widerhallt: Gebrochene Lebensläufe. Irgendwas zwischen Unterarmfraktur und Bulimie beim Bewerbungsgespräch.

Wo sind die Gift-und-Galle-Spuckenden, die Ungewaschenen, die Labilen und Lauten, die ihren Weltschmerz hinausbrüllen und brüllend gegen den Weltscherz verlieren, weil das debile Gelächter der politisch korrekt Konsumierenden alles übertönt? Wo sind die sperrigen, alles  überstrahlenden Genies, die unter tosendem Gelächter allein den Kampf gegen Windmühlen aufnehmen und zweitausendundzweieinhalb Mal grandios scheitern. Um dann einmal zu gewinnen!

Wo sind diejenigen, die aus Prinzip anecken, die sich schütteln, bevor sie sich öffnen, die übersprudeln, schreien und treten. Wo sind die blauen Flecken in den berührungsungeübten Maximalkonsensbiografien, die jene fasziniert verängstigten, retortengleich Angepassten heimlich allein unter der Bettdecke in ihrem Farbenspiel beobachten, in der stillen Hoffnung, sie würden niemals verblassen. Wo sind die selbsttherapierten Depressierten und ihre Opus-Magnum-gewordenen Traumata?

Ich kann die Kilmisters dieser Welt nicht mehr hören. Ich kann die Sartres dieser Welt nicht mehr sehen. Und wo sind eigentlich Jacks Verrückte, die „verrückt aufs Leben sind, verrückt aufs Reden, verrückt danach, erlöst zu werden, die niemals gähnen oder gewöhnliche Sachen sagen, sondern brennen, brennen, brennen …“ ??