Ein Interview mit Joost Renders.

Kürzlich ist in der Edition Subkultur Joost Renders Berlin-Roman „Hop On Hop Off. Eine Stadt, viele Katastrophen“ erschienen. Mit viel schwarzem Humor und Insiderwissen karikiert der Autor, Regisseur und Journalist ein paar ganz normale Tage in Berlin. Die Übergabe einer Tüte voller Pornohefte löst einen Dominoeffekt aus und die Berliner, Zugezogenen und Touristen begegnen sich im Verlauf der Geschichte immer wieder. Familiäre Konflikte, verpasste Karrierechancen und geheime Liebschaften treffen aufeinander – und eskalieren.
Laura hat mit Joost über Touristen, Gewalt und Klischees geredet.

In „Hop On Hop Off“ tummeln sich einige Touristen, die nicht sonderlich gut wegkommen. Touristenhass ist ja etwas sehr „Berlinerisches“. Wie lange muss man in Berlin leben, um diesen rauslassen zu dürfen?

J.R.: Och, ich bin ja oft selber Tourist und das dann gerne. Von daher dürfen sich hier von mir aus gerne auch Leute von anderswo tummeln. Das Einzige, was wirklich nervt, ist, dass in bestimmten Kiezen alles nur noch auf die Touristen abzielt. Das dürfte auch den Touristen irgendwann keinen Spaß mehr machen. Für diesen totalen Touristenhass muss man wahrscheinlich sein ganzes Leben lang in Berlin gelebt haben und kaum bis nie rausgekommen sein. Dann wird man komisch. Solche Leute habe ich beispielsweise in London auch erlebt, die gibt es, glaube ich, überall, wo viele Fremde hinkommen.
Und zu den Touristen in „Hop On Hop Off“: Ich finde „Culture Clash“ immer spannend, da lassen sich gute Geschichten entwickeln. Mit dem Thema „Fremd sein“ beschäftige ich mich viel.

Was magst Du an Berlin?

J.R.: Dass in Berlin kein Stillstand herrscht wie in den meisten anderen Städten, diese Stadt ist nie fertig und das ist auch gut so. Auch wenn die Freiräume, die Berlin so lange ausgemacht haben, langsam schwinden, ein paar gibt es noch und es wird sie auch immer geben.

Joost Renders Live
Joost Renders beim Periplaneta TresenLesen

Leser mit einem Faible für schwarzen Humor können sich über die eskalierenden Situationen in „Hop on hop off“ kaputtlachen. Es wäre aber nicht so schön, die im Alltag zu erleben. Was kann man gegen Gewalt tun?

J.R.: Stimmt, das wäre im Alltag nicht schön. Ich hab keine Ahnung, was man generell gegen Gewalt tun kann. Man kann sich viele gute Sachen vornehmen, aber das befolgt immer nur eine Seite. Gibt aber leider noch die andere. Jetzt hatten wir ja gerade dieses Massaker in Hanau und als jemand, in dessen Geschichten Gewalt eine große Rolle spielt, muss ich mich natürlich fragen, ob ich auch aufwiegele. Ich weiß es nicht. Ich gehöre ganz bestimmt nicht zu der Fraktion „Auch mit Nazis muss man reden“ . Reden verstehen die nicht, da bin ich mit Leib und Seele arrogant. Eine Lösung, außer diese gnadenlos verblödete Pest zu entfernen, weiß ich leider auch nicht. Aber wohin? Die alten Kriegsgefangenenlager in Sibirien vielleicht?
Jetzt aber zum Buch: Ich habe im Leben habe viele gewalttätige Situationen erlebt und die waren furchterregend, aber auch inspirativ. Natürlich verarbeite ich das. Gewalt an sich kann eine ungeheuerliche Lächerlichkeit haben. Diese Lächerlichkeit will ich unterstreichen, auch wenn ich dabei das Groteske auf die Spitze treibe. Gewalttätige auszulachen tut immer gut.

Wie viel Zeit hast Du (für Deine ganzen Charaktere) in die Beobachtung fremder Menschen investiert? Und wie beobachtest Du (im Café, per Zufall, etc.)?

J.R.: Ich verlass mich immer auf den Zufall, weil Ideen sich nicht planen lassen. Ich habe tatsächlich einen Großteil von Hop On Hop Off unterwegs, im öffentlichen Nahverkehr auf dem Handy geschrieben, es gibt da ja diese praktische Memo-Funktion und so saß ich mittendrin. Was ich da genau erlebe, ist natürlich der anfangs beschriebene Zufall – aber es lohnt sich. Ich brauchte nie lange zu warten, bis sich mir ein besonders bizarres und inspirierendes Schauspiel bot. Für „Hop On Hop Off“ habe ich ungefähr 9 Monate gebraucht, die meiste Zeit in Bus und Bahn.

Du hast schon mehrere Drehbücher für Filme geschrieben. Wie viele Menschen lesen die eigentlich?

J.R.: Drehbücher lesen fast ausschließlich Leute, die mit Filmen zu tun haben und im besten Fall sogar Filme daraus machen wollen. Also lesen die nicht viele Menschen und es ist nur ein kleiner Prozentsatz an Drehbüchern, der es auf die Leinwand schafft.

Wieso hast Du angefangen, auch Krimis und Romane zu schreiben?

J.R.: Da waren so viele Geschichten, die raus mussten. Außerdem bin ich in der Filmszene wohl einigen Leuten auf die Füße getreten und hab dann keine Gelder mehr für weitere Filmproduktionen bekommen. Da habe ich mich hingesetzt und etwas Längeres versucht. Drehbücher gehen ja viel schneller, das sind viel weniger Buchstaben. Wenn ich eine Idee habe, dann geht das sehr schnell und ich komme mit dem Schreiben kaum hinterher. Leider gibt es keine Garantie auf Ideen. Krimis habe ich schon immer gemocht, man kann an diesem Gerüst so viele andere Sachen aufhängen. „Hop On Hop Off“ ist von den langen Geschichten mein erster „Nicht-Krimi“.

Die Figuren in „Hop On Hop Off“ zeigen, dass Wohlstand keine Garantie für Freundlichkeit ist und Armut kein Zeugnis fehlenden Willens. Wieso sind diese und andere Stereotype in unserer Gesellschaft so präsent?

J.R.: Strampeln sich eben alle ab, die einen, um ihren Wohlstand zu schützen, und die anderen, um zu Potte oder einfach über die Runden zu kommen. Zu den Stereotypen: Die Leute gehorchen ihren Zwängen. Viele Leute sind geil darauf, ihre Klischees zu erfüllen. Hauptsache das tun, was von ihnen erwartet wird. Ich bin immer positiv überrascht, wenn sich jemand völlig konträr zu seinem Stereotyp verhält, aber meistens ist es enttäuschend und öde. Dann hat der stiernackige Touri aus Niederkrüchten natürlich auch einen Schnauzbart und einen SUV. Tja …

Stell Dir vor, jemand Fremdes würde Dir – wie in Deinem Buch – eine Tüte mit Pornoheften in die Hand drücken. Was würdest Du tun?

J.R.: Bin da vorbelastet. Mir ist das tatsächlich als Kiddie passiert. Da habe ich natürlich reingeguckt, weiß aber noch, dass ich es nicht so prickelnd fand, wie erwartet, was ich schade fand. Jahre später musste ich als Job mit einem Freund alte Zeitschriften aus Läden usw. abholen. Dabei fiel uns ein Batzen Pornohefte in die Hände. Das wollten wir ausnutzen und etwas total Provokantes tun. Wir setzten uns Pornos lesend in die Kantine der Düsseldorfer Kunstakademie, wo alle sehr ernst, asketisch und streng wirkten. Die angehenden Kunstschaffenden haben uns gnadenlos ignoriert. Dafür kam dann der Hausmeister, der fand die Pornos gut und wir haben ihm welche verkauft und den Rest verschenkt.

Sind weitere Bücher in Planung?

J.R.: Na, aber klar!

Danke für das Interview!