von Thomas Manegold.

Wir sind mit einem Mietmittelklassewagen nach Bayern gefahren. Während ich hinten mit meinem Junior die Windräder bestaune, die auf den Rapsfields durchdrehen, läuft das neue Ärzte-Album. Wäre das ein Kurzfilm, gäbe es ganz bestimmt irgendeinen Preis: Während eine hundertfünfzigjährige Punkband, die in diesen hundertfünfzig Jahren vergeblich beteuerte, keine Punkband zu sein, sich gleichsam genial wie altersgerecht selbst zitiert, sitzen Mom, Dad und der fast Dreijährige headbangend im Kombi.

Die drei Typen, die da am Werk sind, sind über 50 (also jeder) und schaffen es, authentisch zu sein, sich nicht allzusehr zu wiederholen, trotzdem sich treu zu bleiben, sich nirgends anzubiedern und witzig, aber nicht albern zu sein. „Plan B“ und „Ich am Strand“ sind Medizin against Midlifecisis und Studienabbruch gleichermaßen. Dazwischen ist genug Platz für Umweltschutz („Polyester“, „Woodburger“ :-), eine polyamoröse Depeche Mode Ballade und Weisheiten, die man bei Lanz oder dem literarischen Quarktörtchen diskutieren könnte („Wer verliert, hat schon verloren“).

Das hat Brett, das hat immer noch genug Verarsche, die besser ist als das Original, das hat Pop, Country, Reggae und Finesse. Farin U. ist immer noch der beste Liedermacher Deutschlands. Bela B. ist der einzige Grufti in Markenklamotten, der Schlager singen darf. Und Rod bleibt der überqualifizierte Basser. Das ist immer noch Kult. Die Ärzte sind musikalisch nur ein bisschen breiter als früher. Und inhaltlich ein bisschen wie die Ärzte, die halt älter geworden sind.

Dass mich das stört, liegt nicht an den Ärzten. „HELL“ sollte wohl eigentlich einfach nur ein solides Werk einer in die Jahre gekommenen Band sein. Aber leider ist diese Platte generationsübergreifend der Gipfel der mittlerweile noch möglichen Anarchie. Dass gerade nicht mehr Punk geht in Deutschland, liegt nicht an Farin, Rod und Bela. Und genau das macht diese Platte so unfassbar traurig: Wir im Mietmittelklassewagen. On The Road to Hell. Und ein Dreijähriger, der „He Siri, google doch mal Sex mit Alexa“ intoniert. Mehr Rebellion geht gerade nicht.

ToM