„Es fühlt sich an, als würde ein Bär den Honig aus einem Bienenbau lutschen und du wärst der Honig.“

Ungefähr so war eine Bandrezension für die VICE. Die Hipsterbild hat früh erkannt: Niemand liest positive Rezensionen. Davon gibt es schon genug in den ganzen Werbebeilagen („Magazinen“) und butterweichen Lifestyle-Blogs.

Drei Probleme:

1. Fernsehen nervt, weil Menschen.

Man sieht eine Serie, es geht um irgendwas, SciFi, Komödie, Honig – ist er vegan oder hast du zu wenig Probleme? Plötzlich schreien sich Menschen an und man soll das goutieren. Drama. Als ob es das im echten Leben nicht genug gäbe. Man setzt sich doch auch nicht, wenn sich die Nachbarn streiten, in deren Wohnzimmer. Vor allem, wenn deren Probleme unfassbar alltäglich sind. Da sitzen der unfassbar moody George Clooney und irgendeine bis zur Unkenntlichkeit operierte Astronautin* auf der Raumstation und haben nichts Besseres zu tun, als sich anzuschmachten, während das Ding explodiert. Da steige ich aus. Zur Not sogar am vollgekotzten Hermannplatz und laufe den Rest durch kniehohe Experimente. Was man vom Fernsehen will, ist das andere. Neue Konzepte, neue Erfahrungen, neue Perspektiven. Wie sieht die Welt nach dem Nuklearkrieg aus? Wie auf 2cb? Was, wenn alle Geschmäcker invertiert wären? Soll Fernsehen keine Lebenszeitverschwendung sein, regt es gefälligst zum Denken an. Ansonsten ist Netflix nichts als Wachkoma. Bingen ist in. Sei ehrlich: Wer fühlt sich nach einem 6-Stunden-Serienmarathon nicht dreckig, benutzt und blöde? Genau das bist du auch. Du bist gerade Mechanismen einer Lebenszeitvernichtungsindustrie zum Opfer gefallen, die deine niedrigsten Emotionen, dein Reptilienhirn versklaven. Du wirst nicht ewig leben, irgendwann verreckst du elendig und dann wirst du dir wünschen, dass du irgendwas anderes gemacht hättest.

2. Filme Nerven, weil Auswahl.

Erinnert ihr euch noch an den Kumpel, der mit 16 im B-Tarif zu viel Taschengeld bekam und sich eine DVD-Sammlung zulegte? 50 Filme. Und während ihr (Opfer) Magic the Gathering spieltet und euch später zugesoffen habt, habt ihr die alle gesehen. Hundertfach. Manche wie „American Psycho“ oder „Fear und Loathing in Las Vegas“ waren erstklassig, ihr könnt sie fast auswendig. Andere wie „The Way of the Gun“ waren grässlich und ihr könnt sie leider auch auswendig. So idiotisch die Welt damals war, sie war beschränkt und das war einfacher. Einen neuen Film herunterzuladen dauerte Tage und vielleicht schrieb eine dieser niederträchtigen Abmahnkanzleien euren Eltern danach einen Brief mit einer Forderung über mehrere Tausend Euro. Ein kleiner Preis im Gegensatz zu dem, was Netflix jetzt kostet. Nicht geldwert, sondern in dem, was wirklich beschränkt ist: Zeit. Noch schlimmer, jemand, der die Suchmaschine Duckduckgo, den Filmtitel und „putlocker“ eingeben kann, dem die ganze Auswahl des Internets offen steht: Unendliches Auswahlpotential. „Neulich wollte ich einen Film sehen und habe mich dann einfach stundenlang durch Trailer geklickt“, ist mittlerweile unter schlaflosen, dauergestressten Großstadtgespenstern das neue „Buh!“. Die Zeit, sich mühevoll einen Film auszusuchen, ist oft ein Vielfaches länger als die Zeit, die man genießt, während man ihn sieht. Es lohnt sich nicht – wie Kapitalismus. Deswegen gibt es Kinos. Welcher wirtschaftliche Analphabet zahlt mehr als den Monatsbetrag von Netflix für nur einen Film? Es geht nicht um den Film, es geht um die beschränkte Wahlmöglichkeit. Studien zeigen, dass uns im Supermarkt 20 Sorten Shampoo unglücklicher machen als drei. Wir wollen keine riesige Auswahl. Wir wollen nur die richtige. Deswegen klammern wir uns an jede Serie, die wir gefunden haben, auch wenn sie noch so dröge und lebenszeitvernichtend ist. Telefonverträge, Krankenversicherungen, Kinder, wir werden in der Welt da draußen mit Auswahlanforderungen bombardiert. Die Serie ist unsere Höhle, wo endlich niemand etwas von uns will außer uns anzuschreien. Wir sind so fertig, dass wir das vorziehen.

3. Keine Aufmerksamkeitspanne.

Wir wollen nicht auswählen, aber wir müssen. Wir sind süchtig. „Black Mirror“ und „Sherlock“ zeigten visuell geschickt, wie Twitter-Nachrichten und Instagram-Posts in die Handlung reinbomben. Die legendär clevere Serie „South Park“ löste eine Lawine von Alexa-Befehlen aus. Die Folge in den Wohnzimmern der Zuschauer: Die Geräte fügten verschiedenste Produkte auf die Einkaufsliste, stellten den Wecker auf 7 Uhr früh, riefen: „Suck my big Balls“, und schalteten sich bis zu 15-mal ab. Wer guckt nicht beim Fernsehen aufs Handy, schreibt der Freundin, updated sein Grindr-Profil, bestellt im Internet Ahornsirup? Filme vor 1970 sind unerträglich, weil alles ewig dauert. Heute reicht die Aufmerksamkeit nicht mal mehr für 120 Minuten Film. Auch nicht 30 Minuten Serie. Es sind 120 Sekunden. Das ist nicht schön, aber für jeden, dem das nicht gefällt, gibt es Schweigeklöster. Für alle anderen gibt es den Nachfolger von „South Park“: „Rick and Morty“.

Rick and Morty

Rick and Morty ist keine Serie im eigentlichen Sinn, es sind tausende. Viele Folgen exerzieren mathematische, soziologische und philosophische Theorien durch. Gebrochenes Raum-Zeit-Kontinuum, freudianische Unterdrückung, Biohacking und die Multiversentheorie sind der Soundtrack. Die Sprünge sind gigantisch. Von einem Planeten, auf dem alle nur ein Bewusstsein haben und mit dem Rick, der Protagonist, eine Affäre hat, bis zu einem Planeten, den er nur erschaffen hat, damit er einen ruhigen idyllischen Ort zum Scheißen hat. Visuell steht die animierte Serie dem in nichts nach. Deformierten Monster schleimen aus allen Ecken, futuristische Städte werden „schuldfrei wie bei Star Wars“ zerhäckselt, dystopische postnukleare Kleinstadtidylle zeigt, dass selbst eine Atombombe das geistlose Elend nicht beendet. „Rick and Morty“ ist bis auf Nazihass nicht direkt politisch. Trotzdem ist es die richtige Serie für eine Zeit, die Visionen verlernt hat. Nein, Helmut Schmidt als Stichwortgeber einer drögen Epoche, mit Visionen muss man nicht „zum Arzt gehen“. Genauso wie du gesagt hast, aus Deutschland „ein Einwanderungsland zu machen, ist absurd“, was ebenfalls Unsinn ist. Es ist eine Serie, die zeigt, dass mehr möglich ist, als sich selbst abzuschalten.
Die Witze feuern im Sekundentakt ebenso hoch wie tief. Anspielungen auf Gleichungen, die man nur, wenn man sein halbes Leben mit Mathematik oder Filmtheorie verschwendet hat, kennt, wie „What about the reality where Hitler cured cancer, Morty? The answer is: Don’t think about it“, bis zu:


Cornvelious Daniel: „It’s arousal. Yes, I’d like very much to visit the memory of you inventing your portal gun.“
Rick: „Yeah, well, tough titties.“
Cornvelious Daniel: There’s no tougher titty than a psychotic break, Rick.“
Rick: „Well, that depends on who breaks first – me or the titty.“

Deswegen hassen viele Rick and Morty. Das ist okay, denn viele sind verklemmte Moralisten. Es ist eine Nerdsendung bis zum bitteren Ende. Den meisten stößt auf, dass clevere Gedanken mit schamlos dreckigem Humor verknüpft werden. Die meisten denken immer noch, Philosophie müsse im Elfenbeinturm sitzen und Humor auf der Theaterbühne langweilen. Das ist falsch. Philosophie wirkt nur, wenn sie bei den Leuten ankommt, und Humor ist dazu da, das Leben zu verbessern. Es gibt keinen Standard, der einen guten Witz von einem schlechten trennt, außer dass die Leute lachen. Wenn es dabei um Hodenkrebs statt um Stratosphärische Gammawellenregelmäßigkeiten geht, dann ist das okay. (Explizit ausgenommen: reaktionäre Kackscheiße auf Kosten von Schwächeren, Mario Barth.)
Rick ist das Zugpferd der Serie. Lose an den verrückten Professor aus „Zurück in die Zukunft“ angelehnt, ist er ein sarkastischer Alkoholiker, ein nihilistisches Genie. Wenn dir seine Realität nicht passt, „fick dich eben“, dann verschwindet er mit seiner Portal-Pistole ins Paralleluniversum, wo es eine Version von dir gibt, die kein so armseliges Würstchen ist. Natürlich ist er an eine Familie gekettet und an seinen weinerlichen Sidekick Morty. Doch die Familie ist so dysfunktional, dass die amerikanische Vorstadthölle und implizite Moralpropaganda nicht durchschlagen kann. Der Grad der gegenseitigen Zuneigung ist ungefähr mit der „Schrecklich netten Familie“ aus den 80ern vergleichbar. Dort sagte Al, als er nach Hause kam, zu seiner Frau Peggy, als sie fragte: „Al, did you miss me?“, „With every bullet so far.“
Natürlich gibt es Alltäglichkeiten, in denen selbst du dich wiedererkennen kannst. Rick ist gestresst, Morty bekommt seine Freundin nicht, die Eltern lassen sich scheiden. Doch alles wird in Kontrast zu einem von skurrilen Außerirdischen bevölkerten Universum und allen Paralleluniversen gesetzt, sodass Kleingeistigkeit und toxische Behaglichkeit keine Chance haben. Rick wird nie dein Ersatzvater. Wem das zu wild wird, der kann wie in „Tales from the Citadel“ eine Genresatire auf eine typische Noir-Polizistengeschichte in der runtergekommenen Großstadt genießen. Wie Morty sagt: „Nobody exists on purpose. Nobody belongs anywhere. We’re all going to die. Come watch TV.“

Fazit:

Rick and Morty löst alle drei Probleme: Die Charaktere sind animiert, deswegen haben sie nicht die lästigen Begrenzungen von Menschen. Es ist eine Serie, aber eine, die tausende andere zitiert, so dass man sich die anderen sparen kann. Letztlich passiert so viel, so schnell, dass man währenddessen nicht schreiben kann, ja kaum essen, ohne die Wand gegenüber beim Lachen mit vollem Mund mit Vorverdautem zu dekorieren. Es ist eine der ganz wenigen Gelegenheiten, fernzusehen, ohne das Gefühl zu haben, nur auf den Tod zu warten. Selbst wenn, ist bis dahin sicher die Portal-Pistole Realität und man kann in das Universum fliehen, in dem man wieder 16 ist.