Eine Kurzgeschichte von Joost Renders.

Es war klar, dass es noch einige Zeit dauern würde, bis alles wieder so laufen würde wie früher. Obwohl die Schulen wieder geöffnet hatten, war die S-Bahn ziemlich leer. Ein paar Gestalten, weiblich wie männlich, saßen einzeln und traurig herum, nur drei jüngere Teenager hockten in einer entfernten Ecke als kleine Gruppe beieinander und waren über ihre Handys gebeugt. Die S-Bahn hielt an einem Vorort-Bahnhof, der Bahnsteig war leer, fast leer. Ein Mann mittleren Alters stieg dann doch als einziger ein. Er schwankte etwas, war also offensichtlich betrunken, sonst sah er gesund aus. Sportlich sowieso, ganz eindeutig in normalen Zeiten ein emsiger Fitnesscenter-Gänger. Aber was war schon normal in diesen Zeiten? Allerdings war er der Einzige in dem Bahnwaggon, der keine Maske vor Mund und Nase trug, sein Gesicht war gänzlich unbedeckt. So konnte man seine edlen Gesichtszüge sehen, er hatte etwas von einem Amerikanischen Westernstar früherer Tage. Außerdem konnte ihn so auch jeder beobachten, wie er mit offenem Mund wie ein tumber Tor die Mitreisenden anstarrte. Die Westernstars damals waren auch nicht immer die Schlausten.
„Verräterschweine!“, brach es laut aus ihm heraus, als er so in die karge Runde glotzte. „Reisst eure Masken herunter und seid frei! Freie Krieger!“ Konfusion machte sich breit. Der Cowboy blieb stehen und grinste kurz. „Ihr würdet euch auch alle impfen lassen, was?“ Ein Mann machte den Fehler, ihn anzusehen. „Du würdest dich impfen lassen, du Kommunist!“,  warf ihm der Cowboy vor. Der Mann zuckte mit den Schultern und sah in die Zeitung, allerdings beschlug dabei seine Brille. Das war das Problem mit diesen Masken.  „Du glaubst wohl an die Scheiße, diese Lügen?“, zeterte der Cowboy. „Du glaubst wohl alles, was die Lügenpresse und die GEZ dir erzählen?“
„Tu ich“, erwiderte der Mann der mit der beschlagenen Brille. 
„Du Opfer! Tu das nicht! Wir könnten grossartige Menschen sein! In einem großartigen Land!“
Die Teenager weiter hinten sahen von ihren Handys auf und starrten den Cowboy ungläubig an. Klar, das war ein echter, sonst sah man diese Irren ja nur auf YouTube.
„Du klingst ja wie ein Trump-Jünger“, spottete ein jüngerer Mann zwei Sitze weiter. „Komm mal runter!“
Der Cowboy lief rot an. Er zitterte. „Ich BIN Trump-Jünger! Willst du mich beleidigen?“ Der junge Mann sah aus dem Fenster. „Ihr wollt euch lustig machen? Ihr macht euch lustig über so einfache und ehrlich arbeitende Leute wie mich? Trump ist unser Mann, der ist für uns da und ihr seid Fake!“ Der junge Mann reagierte immer noch nicht. „Fick doch deine Greta, du Kommunist! Du Kinderficker!“ Keine Reaktion. Zitternd und mit offenem Mund starrte der Cowboy in die Runde. Gut, dass er keinen Colt dabeihatte. Sein Blick fiel auf eine sorgfältig frisierte blonde Dame, die sicherlich schon das Rentenalter erreicht hatte. Langsam tapste er zu ihr hin. Sie saß allein einer Vierer-Sitzschublade und war jetzt auch bemüht, aus dem Fenster zu sehen. Er blieb allerdings stehen und starrte sie an, als würde er eine Erscheinung sehen. „Trump macht euch alle fertig!“, röchelte er hasserfüllt.
Jetzt konnte die gepflegte Blondine nicht anders, sie sah ihn höflich an. „Wen? Mich?“
„Natürlich Hillary“, geiferte der Cowboy und setzte sich, allerdings in die Vierer-Sitzschublade gegenüber. „Er macht euch alle fertig!“ 
„Hillary …?“, fragte die Frau ein wenig hilflos. 
„Ja, Hillary“, grunzte der Cowboy. „Er wird dich fertig machen! Dich und deine Rothschilds!“ 
„Meine Rothschilds?“
„Die Rothschilds und Abba auch!“
„Abba?“, wunderte sich die Frau.  „Die Schwedische Popgruppe?“
„Ja!“
„Warum?“ 
„Die machen auch Fisch.“
„Ja und?“
Jetzt hatte sie den Cowboy doch etwas aus dem Konzept gebracht. Er biss sich auf die Unterlippe und guckte wie die blonde Frau auch aus dem Fenster. Die Teenager waren die Einzigen, die ihn noch anstarrten.
Plötzlich wandte er sich mit fanatischem Blick wieder der blonden Dame zu: „Mögen Sie Kinderficker?“
„Wie bitte?“, fragte die Dame empört.
„Sie haben mich verstanden!“
„Nein.“
„Doch.“
„Natürlich mag ich keine Menschen, die sich an Kindern sexuell vergehen.“
„Sehen Sie?“, jubelte der Cowboy. „Dann sind wir ja einer Meinung!“ Die Dame sah demonstrativ aus dem Fenster, aber der Cowboy wollte und konnte nicht locker lassen. „Sie sind Hillary Clinton!“, stellte er triumphierend fest.
Jetzt musste sie ihn doch wieder ansehen. „Wie bitte?“
„Sie sind Hillary Clinton, wussten Sie das nicht?“
„Eigentlich nicht.“
„Ihr Mann hat Sie oft betrogen, Sie verdienen eigentlich Mitleid.“
„Bitte?“
„Aber jetzt haben Sie ihn betrogen.“
„Ach!“
„Mit Bill Gates.“ 
„Ach was!“
„Jaja!“
„Ich dachte mit Rothschild?“, erwiderte sie schnippisch und sah wieder  aus dem Fenster.  
„Genau! Und mit Obama!“
„Meine Güte, Sie kennen aber meine Wünsche“, meinte die Frau kopfschüttelnd und bemühte sich, hinter ihrer Maske nicht rot zu werden. 
„Sie sind eine Satanistin!“ 
„Ach so?“ Verwundert sah sie den Cowboy an.
Der grinste überlegen: „Sie fressen Kinder!“
Die perfekt frisierte Frau starrte ihn an. Mit offnem Mund, das konnte man trotz Maske sehen, da wo der offene Mund war, gähnte eine tiefe Kuhle.
„Sie fressen Kinder“, geiferte er grinsend und kam sich unglaublich gut vor. Die S-Bahn hielt. Er sprang auf und eilte zur sich öffnenden Tür, wo er sich noch mal zu der Frau umdrehte. „Wir sind alles Brüder und Schwestern“, rief er. „Halleluja!“ Dann verließ der die S-Bahn und rannte davon.
„Ach du Scheiße!“ Laut schallte der Ruf aus der kleinen Gruppe der Teenager. Es war wohl eines der beiden Mädchen. Allen dreien waren ihre Masken vom Gesicht geruscht.
„Das war unser Schuldirektor“, kiekste eine Stimmbruch-Stimme entsetzt. „Der spinnt doch!“
„Ich dachte, der ist krankgeschrieben“, wunderte sich das zweite Mädchen in abfälligem Ton. „Wie peinlich.“ 
„Der ist durch“, meinte der Junge.
Dann wandten sich alle wieder den Handys zu.