von Gary Flanell.

Vor einigen Tagen habe ich etwas getan, was ich sonst selten tue: Ich habe mir eine Podcast-Folge komplett angehört. Vom Polytox-Magazin. Das Interesse kam nicht von ungefähr, denn in der 83. Ausgabe dieses Podcasts ging es um Sexismus und die Repräsentation von Frauen in der Punkszene. Das Thema wird seit einiger Zeit in diversen Medien intensiv diskutiert. Zu Recht, wie ich finde. Denn das, was Frauen an sexistischer Be- und Abwertung in der Punkszene erleben und schildern, ist schlicht gesagt zum Kotzen. Je mehr ich von dieser Diskussion mitbekomme, desto mehr merke ich, dass ich mich immer weiter von dieser Szene  entferne. 

Dabei hatte ich mal ein ganz gutes Bild von dieser, meiner Subkultur. Ein Bild, in dem Offenheit ganz wichtig war. Gegen Diskriminierung, für Toleranz, ein gutes Miteinander, Solidarität, alles, was die so-called Unity ausmacht. Aber die gilt in der Punkszene oft nur für die, die auch im Mainstream einen Sack voll Privilegien genießen: weiße Cis-Männer. Die ganze Szene war schon früh sehr mackermäßig und männerdominiert. Wurde ja auch regelmäßig in Songs abgefeiert, die Brotherhood. Bro-Hymn und so. Aber wo waren bzw. sind die Frauen? Und sowieso alle, die nicht ins heteronormative Schema passen? 

Es fiel und fällt den Punk-Männern oft nicht auf, dass das Geschlechter-Verhältnis in der Szene gar nicht so ausgeglichen ist. Und auch nicht, dass es dort die gleichen Kacksprüche gibt wie in den Teilen der Gesellschaft, von denen wir uns so abgrenzen wollten. „If hardcore was a business or a government, most of the people involved in it would boycott it for being such a male-dominated, heterosexist, all-white organization“, sagte Andy Healey, Bassist der Anarcho-Punkband Submission Hold. Das war in den 90ern. Es hat sich seitdem nicht viel geändert.

In den letzten Monaten häufen sich öffentliche Berichte von Frauen über sexistische Erfahrungen und Nicht-Anerkennung in der Punkszene. Beispiele gefällig? Fangen wir mit Fini an. Die Sängerin der Punkband BLACK SQUARE zeigt sich in ihrem Artikel auf dem taz-Blog verständlicherweise entsetzt darüber, dass sie in einem Interview ihrer eigenen Band im Ox-Zine nicht als Bandmember gesehen wird, sondern als „Freundin von …“ Gitarrist Bonny. Ihre Rolle in der Band als Sängerin? Als Texterin? Weggeschrieben. Ohne Typ als Türöffner wird anscheinend keiner Frau zugetraut, mitzumachen. Oder der Artikel „Sexismus, geh sterben (damit Punk nicht noch hässlicher wird)“ von Diana Ringelsiep auf der Seite des Kaput-Mags. Da wird klar gezeigt, wie sexistisch die Punkszene immer noch ist. Nächstes, ganz aktuelles Beispiel: Die Reaktionen auf Facebook auf eine Rezension des Buches „Hit the stage“ von Tim Hackemack im Plastic Bomb-Zine. Das Buch wurde dort zwar verrissen, der Autor hat die Rezension trotzdem auf seiner FB-Seite gepostet. Was dann dort an aggressiven und sexistischen Kommentaren gegen PB-Chefredakteurin Ronja kam, war so heftig, dass Hackemack kurzerhand den kompletten Post und alle Kommentare gelöscht hat. Das sind typische Reaktionen, wenn darauf hingewiesen wird, dass Frauen Sexismus und zu wenig Repräsentation erfahren: Aggression, Bagatellisieren, Abwiegeln, Schuld von sich weisen. Es ist schon interessant, wie in der Szene auf Kritik reagiert wird. All das lässt sich wunderbar in dem Polytox-Podcast anhören, den ich anfangs erwähnt habe. 

Ehrlich gesagt, habe ich anfangs gedacht, da wäre einiges inszeniert. Zu plakativ kam das rüber, was von den Gastgebern gesagt wurde. Es fing schon mit der Rollenaufteilung an. So nach dem Motto: Good Mod, bad Mod. Hier der ruhige, besonnene Falk Fatal (sollte mal über eine Karriere im diplomatischen Dienst nachdenken), da sein Co-Moderator, der Raidynator, als selbstgefälliger, pfälzisch polternder Raubauz, der zum Thema Frauen in der Punkszene echt haarsträubende Sachen abließ. But guess what? Ich glaube, da ist gar nichts gestellt. Was der Raidynator von sich gibt, meint er sicher auch so. Dabei hat er gar nichts gegen Frauen in der Szene. Er sieht aber auch kein Problem und auch keinen Handlungsbedarf in dem, was Frauen seit Jahren dort in Sachen Sexismuserfahrungen schildern. Die Argumentation lief und läuft so: Es wären doch schon immer Frauen in Bands am Start (auf sowas folgt immer die Aufzählung von Bands, in der mal eine Frau als Sängerin aktiv war) und wer Scheißsprüche auf einem Konzert macht, wurde eh schon immer rausgeworfen, by the own hands of the Raidynator. Schon klar. Immer mit dabei: Der Vorwurf des Trittbrettfahrens an Männer, die sich solidarisieren. Die sich nur damit beschäftigen, weil das Thema gerade „en vogue“ sei. Wenn Mann seine Meinung ändert, dazu lernt und seine Einstellung kritisch hinterfragt, ist er schnell ein Wendehals, ein Beta oder gar ein lila Pudel – indoktriniert, abgerichtet und dressiert von krassen Feministinnen. Dieser Vorwurf basiert auf einer grundlegenden Selbstzuschreibung patriarchaler Männlichkeit. Die für sich selbst in Anspruch genommene Integrität, immer schon auf der richtigen Seite gestanden zu haben. Alle anderen sind Poser, die eben auf einen Zug aufspringen. Die „echten“ Szene-Männer hätten die hohen ethischen Ansprüche der Nichtdiskriminierung in der Szene schon immer gelebt und sich aktiv dafür eingesetzt. Der edle Kämpfer im HC-Pit halt. Diese ritterliche Reinheit in Gewissen und Handeln, die man sich selber zuschreibt, ist ein zutiefst patriarchaler Zug, den Männer sich seit Ewigkeiten in ihr Konstrukt von Mann-Sein reinbasteln. Die derzeitige Diskussion zeigt, dass dieses Männerbild tief im Selbstverständnis vieler Punk/Hardcore-Männer verwurzelt ist.

Mann kann sich in seiner mittlerweile strunzkonservativen Blase noch so sehr als Kämpfer gegen das System inszenieren, im Endeffekt passiert hier nichts anderes als im Mainstream. Das zeigt sich in Aussagen von einflussreichen Akteuren wie Ruhrpott-Rodeo-Macher Alex Schwers oder Fat Mike von NOFX. Wenn es in Interviews zu der Frage kommt, warum immer noch viel mehr Männer als Frauen in der Punkszene präsent und letztere sexistisch angegangen werden, folgen abwiegelnde und ausweichende Antworten: Ist gar kein Problem. Das sind alles nur Einzelfälle, darüber muss man gar nicht reden. Ein strukturelles Problem der Szene, was den Zugang für Frauen angeht? Gibt es nicht. Frauen machen halt nicht so gern Rockmusik, sind rein physisch gar nicht für bestimmte Stile gemacht, die guten Festival-Slots können wir ja nicht nur nach Geschlechterverhältnis vergeben und sowieso, an den grundlegenden gesellschaftlichem Missständen können wir auch nichts ändern, bla bla bla. Könnte Mann schon. Statt irgendwelche lahmen Punkmuseen in Las Vegas aufzubauen, könnte Fat Mike beispielsweise seine Kohle in Workshops an Schulen oder Jugendzentren stecken, um Frauen und Mädchen den Zugang zum Musikmachen zu erleichtern und sie dazu zu ermutigen, in Bands zu spielen. Wär ja mal was.

All das finde ich umso schmerzhafter, weil ich lange Zeit geglaubt habe, dass Punk als Bewegung „Wider die Masse“ sich erstens durch Provokation auszeichnet (die ihrerseits auch sexistisch und diskriminierend sein kann, machen wir uns nichts vor), zweitens durch einen Drang zur Selbstermächtigung und drittens durch die kritische Auseinandersetzung mit autoritären Strukturen und hegemonialen Mainstreamansichten. Wie Frau zu sein hat. Wie Männer zu sein haben. Da könnte Punk durch die Bank schöne, kreative und kritische Haltungen einnehmen. Kommt aber selten vor. Punk ist leider im Laufe der Jahre zu einer konservativen Variante von Rock-Musik verkommen. Die Silberrücken in der Szene klopfen sich auf die eigene Schulter und pflegen ihr Weltbild. Aber wehe, eine Frau fordert den Raum ein, den die Typen schon immer eingenommen haben. Oder erzählt davon, wie sich Männer ihr gegenüber auf Konzerten verhalten. Dann ist man schnell dabei, die Forderungen nach gleichberechtigter Teilhabe als „hysterischen“ und überzogenen Brachialfeminismus abzuwerten.

Ich bin selber ein älter werdender weißer Mann. Ich weiß, dass ich früher –  beim Fanzinemachen oder bei der Organisation von Veranstaltungen –  recht blind war, wenn es um den Anteil von beteiligten Frauen ging. Ich habe es mir oft zu leicht gemacht, es gab ja genug Freunde, die sofort mit ihrer Band parat standen. Aber etwas hat sich geändert. Vielleicht ist es die Erkenntnis, dass es fair und gerecht ist, Frauen in der Szene zuzuhören und ihren Blick auf die Dinge wahrzunehmen. Ihnen Raum zu lassen, den Männer oft selbstverständlich über lange Zeit eingenommen haben. Zu erkennen, dass da noch jede Menge Luft nach oben ist, was die Präsenz von Frauen in dieser Subkultur angeht. „All girls to the front“ war DER Slogan, der früher auf Konzerten der Riot-Grrrl-Band Bikini Kill zu hören war. Das heißt nicht nur, dass die Frauen sich den Raum auf der Bühne nehmen, sondern auch, dass Männer einen Schritt zurück treten sollen. Das schafft für alle neue, bereichernde Perspektiven. Denn erst wenn du zur Seite trittst, kann ich neben dir stehen –  und dich sehen. So könnte auch jedem Punktyp klar werden, dass es genug Platz, Aufmerksamkeit und Wertschätzung für alle gibt. Punk sollte ein Schutz- und Freiraum für jede* sein und kann es auch werden. Diese Subkultur ist kein Privileg für weiße Männer. Sie sollte offen sein für Frauen*, für PoCs, für Menschen jeder Herkunft (das ist noch einmal ein ganz anderes Thema). Wir werden nicht sterben, wenn wir diesen Raum anderen überlassen und ihnen zuhören. Wir werden auch nicht an Mangel von Aufmerksamkeit zugrunde gehen. Und das Geilste ist: Wir werden nichts verlieren, wenn wir teilen.

Gary Flanell (Photo by CHUTTERSNAP on Unsplash.com)