(von Kristjan Knall, aus „Neukölln- Ein Elendsbezirk schießt zurück“)

… Das Syndikat ist nicht das hippe Engels, auch wenn das verirrte Facebook-Touristen manchmal denken. Es ist auch nicht der Bierbaum und ganz besonders nicht das Fräulein Langner. Nicht, dass diese Bars alle scheiße wären. Nur die Leute da sind es eben. Die einzige Bar, die damals keine typische Neuköllner Assistampe war, war das Syndikat. Man hat nichts gegen Unterschicht, ABER: umso mehr gegen Nazis. In keiner anderen Bar konnte man damals in Ruhe literweise Neurotoxine in sich reinkippen, ohne „ich habe ja nüscht jejen Ausländers, ABER …“ zu hören.
Im Fräulein Langner muss man vor lauter „Berlyn-is-so-great“ Schaumfontänen kotzen. Wenn große Kinder es „total amazing“ finden, dass man Berlin kannte, bevor es ein Werbefilm wurde, obwohl man für alles andere mehr kann, als für das. Die sollten lieber wen abfeiern, der aus dem päderastischen Altötting fliehen konnte. Wüssten die, wie der durchschnittliche Berliner so ist, würden die einem ihren Basil Smash Gin ins Gesicht kippen, das Glas an der Tischkante zerschlagen und damit den Augen abhelfen.
Man kann auch nicht im Bierbaum saufen. Niemand bei Verstand sitzt gerne mit Leuten in einem Raum, die Schinkelkreuze auf ihren Rückenspeck tätowiert haben. Klar ist der Chef Türke, aber Blödheit kennt keine Nationalität. Die Rocker scheinen nicht genau zu wissen, ob sie nun la Werner antiautoritär, oder wie Putins Rollatorgarde „Nachtwölfe“ eine faschistoide Sadomasomafia sein wollen. Allein schon, dass die Barhocker festgeschraubt sind, zeigt, was man im Bierbaum unter Entspannung versteht.
Die S… Bar möchte man höchstens mit Nagelbomben kommentieren. Die zeigte nur mal wieder, dass Kapitalismus wie Grippe ist, unendlich anpassungsfähig. Rote Farbe an der Wand? Ein Style Item, jetzt sind sie die Revolution. Die Smarts vom S… Burger wurden angezündet (dankbarerweise, wer 9 € für einen bestenfalls mittelmäßigen Burger verlangt, der gehört eigentlich geteert und gefedert)? Die nächste Touristengruppe peitscht den Umsatz hoch. „So Berlin.“ Die S… Bar hat es aber zum Glück erwischt: Wollte wohl doch keiner mehr für 20 € frühstücken gehen.
Nostalgie ist was für Verlierer. Das nie dagewesene Schöne, das Rechte so gerne versprechen. Auch der Schillerkiez war damals nur anders scheiße. War es 1985, als das Syndikat gegründet wurde, so viel einfacher? Klar, das Geld kam vom Amt, aber Wohnungen waren im klaustrophobischen Westberlin auch Mangelware. Dazu gab es jeden Winter Smog bis zum Ersticken. Wem der zugeschissene Grunewald nicht reichte, der musste über die Grenze Spießrutenlaufen. Was Sadisten wie ich so geil finden, abgefuckte Häuser, besprühte Wände, das Ghetto, bedeutete für viele eben auch schlicht Armut. Pest oder Cholera. Statt Gangs und Kleinbürgerfaschos gibt es jetzt Touris. Vieles ist im Schillerkiez besser geworden, denn die Armen können ja nicht mehr hier leben! Über 100 % Mietsteigerung in zehn Jahren! Vielfalt ist ein Markthindernis. Wie Menschen.
Das Syndikat ist der Mittelfinger im Gesicht der Gleichmacherei. Wo sonst konnte man sich mit so gutem Gewissen besaufen? Jedes Bier finanziert anderswo einen Stein. Die leeren Flaschen werden sofort zu Mollis weiterverarbeitet. Der besoffene Mob räumt jeden Abend einen Bolle aus. So stellte sich das die Bild wahrscheinlich vor. In Wahrheit ist es im Gegensatz zu dem stumpfen Frustsaufen oder überdrehten Socializing einfach eine egalitäre Kneipe, ohne die widerlichen Begleiterscheinungen von Alkohol: Aggression, sexuelle Übergriffe, Faschismus. Das Trinkgeld finanziert soziale Projekte von Sea Watch bis zu den Mieten von klammen Nachbarn.
„Zeiten ändern dich“, sagte ein großer Philosoph unserer Zeit: Bushido. Einige waren in den letzten Jahren nicht halb so oft hier, wie in den letzten Monaten. Es ist, als müsste man das jetzt nachholen, was natürlich sentimentaler Quatsch ist. Die Vergangenheit ist tot und lebt allerhöchstens im Addams Family-Flipper weiter. Und der Arsch ist neuerdings kaputt und frisst die Münzen. Sie waren hier, weil das Syndikat geschlossen werden soll. Der Feind ist milliardenschwer. Er will keine höhere Miete, er redet nicht, er will ein Exempel statuieren. Jeder Mieter soll sehen: Du hast keine Chance, du Wurm!
Anfang 2019 hätte mit dem Syndikat Schluss sein sollen. Zur Kiezversammlung kamen so viele Menschen, dass draußen Lautsprecher aufgestellt werden mussten. Ergraute Autonome, Lehrerinnen, junge Spanier, Abgesandte des Gemeinschaftsgarten Prachttomate. Einer vom Kollektiv sagte: „Ich glaube, die wissen nicht, mit wem sie es zu tun haben.“ Er sollte recht behalten.
Schon mal von der Pears Global Real Estate gehört? Nein? Komisch, sie sind mit über 6.000 Wohnungen in Berlin einer der größten Player am Markt. Zudem sind sie verschwiegen und verschämt. Bis das Syndikat sie ans Licht zog.
Das milliardenschwere Familienunternehmen mit Glitzerbüro in London. Da fuhr das Kollektiv hin und gab tausende Unterschriften für den Erhalt ab, bis sie aus der Privatstraße vertrieben wurden. Ein anscheinend wichtiger Anzugträger sagte, sie sollten sich doch einen neuen Ort suchen. Berlin sei doch so billig. Und das sei schließlich der Markt.
Der lokale Sitz der Firma ist in Luxemburg, auf ihrem Klingeltableau musste ein extragroßer Glaskasten angebracht werden, um die über 70 verschleiernden Tochtergesellschaften aufzulisten. Der Markt garantiert nur eins: Survival of the Fittest. Gleichzeitig rühmt sich Pears mit Kinderheimen. Wahrscheinlich wohnen da die Kinder der Eltern, die wegen ihren Räumungen obdachlos wurden.
Seit das Syndikat an die Öffentlichkeit gegangen ist, stürmen Zeitungen von Taz bis Tagesspiegel den Laden, der RBB dreht Berichte, sogar die Vice hipstert rum. Demos und Kiezversammlung erhöhen den Druck, in der Filiale am Kurfürstendamm wird das Licht ausgeknipst und die Vorhänge zugezogen. Doch Pears sagt kein Wort. Neujahr kam ein Abgesandter und verlangte den Schlüssel. Er konnte froh sein, dass er keins in die Fresse bekam. Man wird sich vor Gericht sehen und die Frage klären, die größer ist als das Syndikat: Wem gehört die Stadt?
Mit dem Syndikat sollen die Meuterei, die Potse, die Liebig, insgesamt über 150 Jahre selbstverwaltetes Berlin untergehen. Wohlgemerkt: Keiner der Läden ist wirklich besetzt, jeder zahlt Miete. Pears hat das Haus des Syndikats erst kürzlich gekauft und knapp vor dem Milieuschutzgesetz eine Eigentumsaufteilung im Grundbuch angemeldet. Das Syndikat fliegt zuerst, nach der Schutzfrist höchstwahrscheinlich alle Mieter. Die Frage, die sich die Stadt stellen muss, ist: Gibt es auch schützenswertes Gewerbe? Ist ein Starbucks wirklich wichtiger als ein Kindergarten, ein McDonald’s wichtiger als eine Obdachlosenteestube, ein Coworkingspace wichtiger als das Syndikat? Wenn man nicht in einem gigantischen Bahnhof Südkreuz leben will, sollte die Antwort einfach sein.
Von den Linken, über den Grünen Bezirksstadtrat Kreuzbergs, Florian Schmidt, über diverse Linke bis zum Bezirksbürgermeister von Neukölln. Der ist sogar von der SPD! Erstaunlicherweise ist Berlin sich einig und kriegt seinen Arsch hoch. Leider machen die Landeier, die die CDU wählen, die Gesetze auch für Städte außerhalb ihres Dorfes, die sie sich nicht mal vorstellen können oder wollen.
Mahatma Gandhi wusste die Lösung: ziviler Ungehorsam. Die Initiative Bündnis Zwangsräumung verhindern! will erreichen, dass der Senat zusagt, eine gerichtliche Räumung nicht mit der Polizei durchzusetzen. Angst um den Rechtsstaat? Der bläst ihm Unschickliches sonst auch oft „aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ ab. Wieso nicht hier?
Die Bösesten sagen, die Zeit des Syndis ist vorbei. Punkrock, Antifaplakate, Kollektiv, wir sind hier nicht mehr in den 80ern. Schließt den Laden, Coworkingspace rein, und wer weiß, vielleicht findet ihr auch Arbeit in schicken Startups und seid dann super dankbar, wenn ihr die erste Anzahlung auf eure 500.000 teure Eigentumswohnung um die Ecke machen dürft. Vielleicht bläst euch Christian Lindner auch noch einen.
Wenn der gerade nichts im Mund hat, oder sich selbst auf Twitter zum Geburtstag gratuliert, sagt er so Sachen wie: „Veränderung ist nicht per se schlecht.“ (Er kann nämlich Latein!) Recht hat er, aber wenn Veränderung immer Verdrängung, Ausbeutung und ein schlechteres Leben für die 99 % bedeutet, dann kann man es so machen, dann wird es nur eben scheiße. Wie viele kollektive Läden haben denn in den letzten Jahren im Schillerkiez aufgemacht? Oder in Neukölln? Und wie viele schließen? Berlin verödet, teilweise über ganze Bezirke wie Prenzlauer Berg. Was machst du denn abends in Wilmersdorf, Friedenau, Lichtenberg? Genau das, was die Wahnsinnigen der vergangenen Regierungen beworben haben. Das Alternative, das Wilde, das Freie wird zuplaniert und mit Luxuslofts erstickt.
Aber es geht auch anders. Wie grotesk ist denn, dass das Bezirksamt auf der Seite eines autonomen Ladens ist? Die Westberliner CDU hätte sich eher beide Augen ausgestochen. An allen Ecken und Enden der Gesellschaft heult man, dass wir mehr Zusammenhalt, Kommunikation und Rücksicht brauchen. Einfache Worte. Syndikat ist ziemlich genau die Definition von Zusammenhalt und dort wird sie gelebt. Deswegen ist das Syndikat nicht Vergangenheit, sondern Zukunft. Oder man macht den Laden Berlin zu und gemeindet ihn als Vorort von Kleinmachnow ein. Der neue Bürgermeister: Bushido.

(Kristjan Knall feiert seine „Neukölln“- Premiere am 30.Mai 2019 im „Syndikat“)

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