Ein Interview mit Kristjan Knall.
Wer durch die Straßen Berlins schlendert, läuft Gefahr, einem Mann mit Fellmütze, Sonnenbrille und einem Hang zur gut recherchierten Totalkritik zu begegnen. Dieser Mann ist Kristjan Knall und jene Kritik findet sich in seinem neuesten Berlin-Bashing-Buch „Neukölln. Ein Elendsbezirk schießt zurück“. Am 27.09. gibt Kristjan Knall seinen Einstand als Vorleser im Rahmen der NACHT DER SUBKULTUR im Periplaneta. Deshalb hat Laura mit dem Autor über den Wahnsinn „Berlin“, die linke Szene und Neuköllner Street Credibility jenseits von Frappuccinos geredet.
Du hast in der Vergangenheit viel Kritik für Deine Aussagen über Berlin einstecken müssen. Meinem Leseeindruck nach spricht aus Deinen Texten aber eher eine (geheime?) Liebe für die Hauptstadt. Hegst Du so eine Liebe?
KK: Allerbestenfalls Hassliebe. Ich mag Berlin an sich: das Grün, die paar letzten unsanierten Altbauten, Punkerbars, wo man für die Revolution saufen kann. Nur die Menschen nerven eben. Ich stehe auf Abgeranztes, aber nur, wenn ich es mir aussuche. Die Leute drücken dir ihre Abgefucktheit ungefragt in die Fresse. Daher: Ja zur Zombieapokalypse.
Verstehen die Berliner keinen Spaß?
KK: Doch, aber nach dem Motto: „Schröppn? Jibts nich mehr HAHAHAHA.“ Idiotischer, autoritätshöriger, preußischer Humor. Für das nächste Buch schreibe ich unter anderem über die Bankräuber Sass, die in den 1920ern die Bullen hart verarschten. Das mochten die Berliner damals, gegen die „Raffkes“. Das waren anscheinend noch nicht so komfortzonenparanoide, verblödete deutsche Michel.
Hast Du schon mal überlegt, aufs Land, in den hintersten Winkel Mecklenburg-Vorpommerns oder so zu ziehen?
KK: Jeden Tag. Aber ganz ehrlich: Wahrscheinlich bin ich da selbst zu kaputt für. Und: Neben den 95% Hirntoten gibt es 5% erträgliche Leute. Das Antipublikum. Von denen sind wiederum 0,00005% die wenigen Menschen, die das Pech haben, meine Freunde zu sein.
Was kann getrost aus Neukölln weggentrifiziert werden?
KK: Investoren, allen voran die Deutsche Wohnen! Aber auch Autos, alles, wo man einen „Frappuccino“ bestellen kann und alle protofaschistischen Parteien (fängt so ab olivgrün an). Die schönste Zeit in Neukölln waren die 90er, die „Zeit der toten Fenster“. Urbanität bedeutet Risiko und damals konntest du dir sicher sein, nachts an den falschen Orten abgezogen zu werden. Früher war alles besser, weil schlechter.
Was sollte unbedingt erhalten bleiben?
KK: Bleiben sollte das profunde Assipotential. Limited-Jogginghosenträger in Erdgeschosswohnungen, delirierende Methjunkies, das „Syndikat“ verdammt noch mal! Eben das, weswegen alle hergekommen sind, auch wenn sie es nicht zugeben. Das, was Neukölln zu was anderem macht, als der ganze Rest des Reiches ist: sterbenslangweilig.
In einer Deiner Geschichten beschäftigst Du dich mit Anarchismus und dem (Un-)Sinn anarchistischer Pizzerias. Woher kommt vor diesem Hintergrund Deine bolschewistisch anmutende Kopfbedeckung?
KK: Das ist das Bauchfell von CDUlern, die sich nachts nach Neukölln verirrt haben. Bolschewistisch ist schon ganz gut, weil die ganz zu Anfang bei der Revolution in St. Petersburg wirklich keine Ahnung hatten, was sie machen sollten. Sie wussten einfach nur: So geht es nicht weiter. Zum Schluss haben sie das größte Imperium der Geschichte friedlich implodieren lassen, einfach, weil keiner mehr Bock hatte. Das ist revolutionärer Pessimismus!
Du schreibst auch über den Verfall der linken Szene in Berlin, meinst zum Beispiel, der 1. Mai sei zur „Spaßveranstaltung“ verkommen, und findest Redeverbote blöd. Glaubst Du, dass man mit Demonstrationen und politischem Engagement etwas bewegen kann?
KK: Na klar, es demonstrieren nur die Falschen. Ob die paar Linken ihren Kiez zusammenkloppen, interessiert doch keinen. Aber „Fridays for Future“, das hat Wucht! Das wirkliche Problem sind die Alten: Die gehören nach Mallorca. Politiker sollten maximal 40 sein können. Und erst mal für 75 Jahre 75% Frauen. Dann sehen wir mal, wie es läuft. Was den Linken maximal ins Knie schießt, sind Elfenbeinturmdiskussionen über gefühlsduselige „Safe Spaces“, Wörter, die man nicht sagen kann, und Zukunftsfeindlichkeit. Da kotze ich im Strahl.
Eine der brutalsten, ehrlichsten Stellen im Buch ist die, in der Du Wurst als „in seinen eigenen Arsch gestopftes Schwein“ bezeichnest. Sollten alle Menschen Veganer werden?
KK: Natürlich, sofort. Nicht nur, weil es das Gesündeste ist. Wenn die alle sonst verrecken wollen, könnte mir das nicht egaler sein. Aber die klauen mir und allen Nachkommenden den Planeten, nichts verschmutzt so viel. Ich bin nicht der große Moralist, aber das, was sogar Holocaustüberlebende „Tierholocaust“ nennen, lässt sich durch nichts rechtfertigen. Da werden unsere Enkel uns noch zurecht aufs Grab pissen für. Und nein, bio, Freiland und dass dein Schwein einen Namen hat, macht es nicht besser. Wäre es ok, dich zu schlachten, weil du ein schönes Leben hattest?
Du hast mehr Verweise und Fußnoten gesetzt als die meisten deutschen PolitikerInnen in ihren Doktorarbeiten. Wie lange hat es gedauert, das alles zu recherchieren? Hattest Du dabei überhaupt noch Zeit, das harte Leben auf Neuköllns Straßen zu überleben?
KK: Wallah, du kannst aus dem Ghetto fliehen, aber das Ghetto nicht aus dir. Ich habe eine einfache Regel: jeden Tag eine Stunde. Wenn es gut läuft mehr. Ganz ehrlich, dies das, ich finde „echte“ Literatur meist ziemlich öde, wenn stilistisch nicht das Feuerwerk abgeht. Fakten sind wirklich meist wahnsinniger als Fiktion. Aber ja: (der Rest vom) Ghetto ist jeden Tag, muss man eben drin wohnen. Verstehe gar nicht, dass die Leute nicht jedes Mal, wenn jemand „ISCH GEB DIR BOMBE DU HURENSOHN!“ ruft, die Sektkorken knallen lassen.
LANGE NACHT DER SUBKULTUR am 27.09.2019
Danke für das Interview.
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