Mena Koller (by Anti)

Mena Koller (by Anti)

Mena Koller über Brüche, Inspiration und die Nutzlosigkeit von Prinzipien

Mit Mena Koller verstärkte im vergangenen Herbst eine weitere hochtalentierte Jungautorin die Reihen der Periplanetaner. Nun erscheint ihr Debüt, der Kurzgeschichtenband „Fluchtpunkte“, in der Edition Subkultur. Mena Koller war selbst lange ohne festen Wohnsitz unterwegs, hatte aber immer ihr Notizbuch dabei. Paul Waidelich hat mit ihr gesprochen:

Mena, in relativ jungem Alter hast du dich bereits dafür entschieden, der Schriftstellerei hauptberuflich nachzugehen, statt – wie viele andere – zweigleisig zu fahren. Wie kam es dazu?

Mena Koller: Ich habe nach dem Abitur eine Lehre und ein Studium abgebrochen. Das Problem war: Ich wollte immer nur schreiben und habe es einfach nicht auf die Reihe gekriegt, das als Nebensache zu betrachten. Abgesehen davon ist für mich der sogenannte Hauptberuf etwas, das man als identitätsstiftend betrachtet – nicht das, was die Miete bezahlt.

Nun ist dein Kurzgeschichtenband „Fluchtpunkte“ bei Subkultur erschienen. Du widmest dich darin vor allem einzelnen Situationen und leuchtest sie in all ihren Facetten aus. Wie kommt es zu diesem Gedanken: „Über diese Art von Moment will ich schreiben“?

Mena Koller: Der alte Hut mit der Inspiration! Es ist der gleiche Grund, aus dem man manchmal spontan vor etwas stehen bleibt, darauf zeigt und sagt: „Schau mal!“

Und der wäre?

Mena Koller: (überlegt kurz) Die unbewusste, spontane Wahrnehmung eines Unterschiedes. Das intuitive Gefühl, dass genau dieser Moment, dieser Anblick oder Gedanke mehr ist als die Summe seiner Teile.

Was nicht positiv sein muss: In deinen Geschichten geht es um Desillusionierung, Vorstellungen und Wunschträume werden von der Realität eingeholt. Ist das Leben wirklich so ernüchternd?

Mena Koller: Literatur bildet doch immer nur einen Teil des Lebens ab. Und erfüllte Wunschträume sind einfach nicht mein Genre.

Warum nicht?

Mena Koller: In einer Geschichte mit rein gut gelauntem, zuversichtlichem Inhalt finde ich keine erzählenswerten Brüche. Die Beschäftigung mit dem Glück ist für mich Unterhaltung, keine Kunst.

Viele der Protagonisten scheinen auf der Flucht: vor sich selbst, der Vergangenheit oder den eigenen Gefühlen. Beobachtest du dieses ständige Auf-der-Flucht-Sein auch um dich herum?

Mena Koller: Eher bei mir selbst. Aber es geht mir um die allgemeine Bewegung, die in jedem Menschen ständig stattfindet. Was sich im Unsichtbaren bewegt – egal in welche Richtung – finde ich interessanter als das, was man an der Oberfläche sehen und beschreiben kann.

In manchen Geschichten entwickelt die Flucht zerstörerische Folgen, in anderen scheint sie der einzige Ausweg. Ist es manchmal konstruktiver, wegzulaufen?

Mena Koller: Ja! Das sinnloseste, verrückteste Verhalten kann unter bestimmten Umständen vollkommen normal und notwendig sein. Dann liegen Wahnsinn und Pragmatismus plötzlich auf einer Linie. Solche Situationen zeigen, wie nutzlos Prinzipien eigentlich sind.

In „Berlin“ zieht der Protagonist Paul zum Studium hierher und ist von der Suche nach „seinem Platz in diesem Moloch an Vorstellungen“ völlig überfordert. Du selbst bist vor genau zwei Jahren nach Berlin gekommen. Wie war es, in der Großstadt einen Platz für sich zu finden?

Fluchtpunkte Cover

Fluchtpunkte Cover

Mena Koller: Das war furchtbar schwer. Die erste Nacht hab ich im U-Bahnhof am Alex unter einer Telefonzelle geschlafen. Ich kannte keine Sau in der Stadt. Eineinhalb Jahre habe ich dann auch ohne festen Wohnsitz und in ziemlichem Chaos verbracht. Inzwischen bin ich angekommen: Ich habe ein Zuhause, Freunde und meine Arbeit. Die Sesshaftigkeit gefällt mir!

Vor deiner Zeit in Berlin warst du für mehrere Monate im Balkan „on the road“. Welche Rolle hat das Schreiben in dieser Zeit gespielt?

Mena Koller: Das Schreiben war sozusagen mein einziger wertvoller Besitz. Ich hatte die Uni geschmissen und alles verkauft. Kleider, Möbel, Bücher – alles. Und plötzlich hatte das Schreiben Platz! Während ich absichtlich meine Orientierung verloren habe, waren meine Notizbücher der Ort, an dem sich für mich vieles geordnet hat.

In keiner der Geschichten hegen Menschen langfristige Pläne, es geht um den Moment oder das Auseinandersetzen mit der Vergangenheit. Wie wichtig ist die Zukunft für unser Leben tatsächlich?´

Mena Koller: Ich glaube, man muss sich bewusst machen, dass man ständig von der Zukunft redet wie von etwas, das bereits da ist und auf uns wartet. Dabei ist Zukunft der Name für das, was noch nicht da ist. Wir erzeugen sie, im Moment und in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Erst wenn Gegenwart und Vergangenheit miteinander in Bezug gesetzt werden, kann Zukunft überhaupt stattfinden.

Und wie sieht deine Zukunft derzeit aus?

Mena Koller: 42.

(lacht) Vielen Dank für das Gespräch.