Die Tyrannei der Wahl.

Von Falk Fatal.

Herzlichen Glückwunsch! Punk wird dieses Jahr 44 Jahre alt. Nein 45 Jahre! Oder doch 46 Jahre? Oder eher 48 Jahre oder gar 53 Jahre? So genau weiß das niemand mehr. Ist ja auch schon lange her.
Beim Hip Hop beispielsweise ist klar: DJ Kool Herc war der Erste, der Breakbeats montierte. Den Begriff Rock’n’Roll als Bezeichnung für die neue Musik, die sich Ende der 1940er, Anfang der 1950er aus dem Rhythm and Blues entwickelte, haben wir Alan Freed zu verdanken. Den Beginn der klassischen Musik lässt sich auf 1730 datieren. Alles relativ klar und eindeutig. Doch wer hat den Punk erfunden?
Bis heute eine kontroverse Frage. Klar ist nur: die Schweizer waren es nicht. Über alles weitere gehen die Meinungen auseinander. Waren es Malcom McLaren und die Sex Pistols? Oder waren doch The Ramones? Was ist mit den New York Dolls oder Television? Vielleicht Death? The Sonics? MC5? Velvet Underground? Oder doch The Stooges? Die werden häufig genannt. Aber warum sind im Punk dann lange Haare verpönt, wenn der Godfather of Punk bis heute eine wehende Mähne hat?
Punk hat von allem eine Ahnung, aber von nichts genau. Nicht mal, wann es damit losging. Und eigentlich noch viel wichtiger: Ob Punk überhaupt noch lebt oder schon tot ist? Oder einfach nur komisch riecht. Die Frage könnte leicht mit einem einfachen Verweis auf die zahlreichen Bands weltweit und die Menschen, die ihnen zuhören, beantwortet werden. Aber das reicht nicht. Punk’s not dead, schreit es einem stattdessen genauso oft entgegen, wie: Punk ist tot.
Aber wie soll Punk auch wissen, ob man noch lebendig ist? Punk weiß nicht mal was es ist, außer: Punk ist Widerspruch. Gerne auch im Widerspruch mit sich selbst.

Punk heißt ja so viel wie Abschaum, Dreck oder Müll. Und das soll man nicht nur hören, sondern auch sehen. Doch wer glaubt, es wäre einfach, abgefuckt auszusehen: irrt. Punk ist ein Lifestyle, bei dem man sich stundenlang den Iro richtet, denn nichts ist verpönter als ein Schlappiro. Punk ist auch ein Arbeit-ist-scheiße-Lebensstil, bei dem man Tage damit verbringt, Nieten in seine Lederjacken zu schrauben, und Selbstausbeutung als Realness lobt.
Trotzdem: Punk ist großartig! Punk hat einige der besten Bands überhaupt hervorgebracht – und Cotzbrocken. Punk erlaubt allen, scheiß Musik zu machen. Du brauchst nicht mal drei Akkorde, um eine Band zu gründen. Und Punk versprach: Du brauchst kein Label, um Deine Platte zu veröffentlichen. Heute reichen dafür ein Smartphone und einen Youtube Account. So gesehen hat sich Punk erfüllt.
Und trotzdem war früher alles besser, rufen die, damals vielleicht dabei waren. Punk ist nämlich eine Jugendbewegung, die alte Männer akzeptiert, wenn sie auf Konzerten ihre Jugendshirts tragen, genauso wie die Typen, die Störgeräusche auf Leerkassetten aufnehmen und wirklich glauben, das sei progressiv. Berufsjugendlich wäre vielleicht das bessere Adjektiv, um sie zu beschreiben, aber niemand möchte sich mit denen streiten, so lässt man sie über irgendwelche angeblich reaktionären Top-Ten-Listen der besten Deutschpunkbands lamentieren, die die Pisse von heute vergessen.

Punk ist aber auch ganz viel Tradition und lobt die Handarbeit. Aber da das zu sehr nach Brauchtum klingt, wird es Old School oder DIY genannt. Das hat auch gleich einen viel schöneren Klang und lässt sich besser verkaufen.
Punk sitzt in Werbeagenturen, macht auch in Grafikdesign, sogar Business-Punks soll es jenseits des Zeitschriftenläden geben. Punk ist überall und verliert immer mehr Orte.
Punk findet Spotify scheiße, weil das Majors sind. Denn Punk findet alles scheiße, was irgendwie Sellout sein könnte, auch Konzerte mit drei Bands, die fünf Euro Eintritt kosten. Aber im Sommer die Festivals, die müssen dennoch sein.
Punk kennt keine Richtung. Punk ist Straße und ist Kultur. Punk ist keine Religion, nur ein Kult, über den mit religiösem Eifer gestritten wird und der Neulinge als Pseudos tituliert. Punk ist eine geschlossene Gesellschaft. Punk ist Widerstand und Rebellion und strikt dagegen, ist selbstverwaltet und autonom, ist Arschlecken und Rasur, und war noch nie, nur: Subkultur.

Punk ist die Tyrannei der Wahl. Punk ist eine Betriebskantine mit großem Buffet, bei dem sich alle auf den Teller packen, was ihnen am besten schmeckt. Ein bisschen mehr Rock’n’Roll hier, eine Prise Politik da. Hardcore liegt auch auf den Tellern und eine große Portion Antifaschismus, das ist ja klar. Oi soll ebenfalls schmecken und wirft häufig gewählt, gerne mit ein wenig Ska garniert. Andere lassen die Hauptspeisen aus und stürzen sich gleich aufs Dessert. Manchmal probiert man etwas Neues aus, dass dann auch gut schmeckt, anderes lässt man nach einiger Zeit links liegen. Manche wechseln schnell das Restaurant, andere kommen manchmal wieder, und andere füllen ihre Teller seit mehr als 30 Jahren täglich mit denselben Speisen.
Punk hat keinen Zweck. Punk ist das, was Du daraus machst. Bleibt nur noch die Frage: Ist das Kunst oder kann das weg?

(Punk on the beach by Nick Fewings – Unsplash.com)